001
fünf sätze für zwei klaviere (1969)
(5 movements for two pianos)
duration: 7'
premiere: darmstadt 1970
peermusic
the five pieces for two pianos (1969), premiered in 1970 in darmstadt, constitute the first entry in mathias spahlinger’s work catalog. they are a collection of aphorisms, vignettes of pianistic color, at times static, at other times fanning out into rhythmicized chord patterns. the pieces provide a glimpse of spahlinger’s early interest in individuation of "fulfilled moments" and micro-dramas, which comes to fruition in the slightly later 128 erfüllte augenblicke for voice, clarinet, and violoncello, but continues to reappear throughout his creative output.
philipp blume
002
drama (1969)
for 12 voices
duration: 9'30
premiere: weimar 05.04.2018, berlin 01.05.2018
phønix16, direction: timo kreuser
self-publishing
die objektivierung von individuellen konflikten und des konfliktes zwischen individuum und gesellschaft ist die funktion des chors im antiken drama und das thema dieses stückes.
I.
sukzessive einsetzende geräusche, die einander so ähnlich sind, dass sie sich konfliktlos zum gesamteindruck verbinden, werden durch einen quasi akkordischen einsatz zur betonung ihrer individualität (akzentuierung durch geflüsterte vokale und erste stimmhafte laute) provoziert. die gruppe versucht, ihre auflösung in unbestimmte tonhöhen (gesprochene silben) aufzufangen, indem sie selber zu tonhöhen übergeht und sich in klängen zusammenschließt. die destruktive tendenz erweitert ihre mittel durch deutliches konturen-sprechen und -singen (kurze glissandi), schließlich wird aber das glissando zur neuen gruppen-norm, zum fluktuierenden klang, der für momente im cluster verharrt, um dann in glissando-gruppen auseinanderzubrechen.
gegen das "alte", bisher herrschende prinzip der gruppenbildung (einzelgeräusche bzw. töne schließen sich zu klängen zusammen) und gegen asynchrone störelemente setzt sich das neue gruppenbildende prinzip (synchronismus) mit hilfe der acceleration zur wehr; destruktive tendenzen finden sich auch in der gruppe selber: gruppensynchrone, aber nicht gruppenidentische töne und geräusche. die zwanghaft forcierte bindung schlägt, wo beschleunigung synchron nicht mehr möglich ist, in ihr gegenteil um; in absoluten individualismus. dieser zerstört sich aus eigener kraft. seufzen und hörbares einatmen, ihrer herkunft nach asynchron und äußerungen von individuen, stehen ironisch für identität von individuum und gruppe.
II.
im zweiten teil erscheint das gruppenbildende prinzip des ersten (einzeltöne bilden klänge) negativ: individualität hat ihre destruktive und damit institutionenbildende kraft eingebüßt, wird fortschreitend nivelliert: vom klang zum cluster, vom cluster zum geräusch, das sich aus unidentifizierbaren einzelaktionen zusammensetzt, bis hinab zu akustischen ereignissen, die gruppen hervorbringen, deren individuen auf äußere sensationen reagieren, ohne auf ihr verhältnis zueinander zu reflektieren.
003
fürsich (1970)
für eine darstellerin oder einen darsteller
dauer: 12'
ua: darmstadt 1971
self-publishing
004
szenen für kinder (1970)
(scenes for children)
duration: 12'
premiere: ludwigsburg 1970
self-publishing
005
phonophobie (1972)
for wind quintet
duration: 9'
premiere: stuttgart 1972
peermusic
phonophobie sucht die subjektive erfahrung der 'furcht, positiv zu werden' (hölderlin) als ein objektives zu begreifen: als schmerzlos-sprachlose lähmung zwischen 'reiner negation' (hegel), die ihren gegenstand nicht berührt und darum unmittelbar in positivität umschlägt, und der bestimmten, die, wenn nicht 'absichtslosigkeit' durchgehalten wird, wenn sie sich 'wie leckermäuler auf die neuen aussichten stürzt' (liebrucks), 'positivität präsupponiert' (adorno). solches komponieren kann nicht länger - als instrumentelle vernunft - über seinen gegenstand, funktionalisiert zum material in einem wie immer gearteten system verfügen; es liefert nicht das resultat unmittelbar, sondern zugleich die 'bedingungen und widerstände' (lachenmann), und zwar die mechanischen der klangerzeugung ebenso, wie die des komponierens selber: reflexion der bedingungen des denkens unter ebendiesen bedingungen verlangt, ohne apodiktik auszukommen. das mag uns, solange wir von macht fasziniert sein möchten, zum lachen reizen.
006
entlöschend (1974)
(non extinguishing)
for large tam-tam
duration: 15'
premiere: stuttgart 1974
manuscript
"entlöschend" für großes tamtam setzt sich, wie der titel andeutet, auseinander mit klang der entsteht durch dämpfung, unterdrückung von klang eines so extrem resonanzreichen instruments, wie es das tamtam ist. da aktion und resultat von ausführung zu ausführung und besonders von instrument zu instrument, stark voneinander abweichen können und vom interpreten flexibles reagieren verlangen, kann dieses stück nicht als bis ins letzte fixierte partitur existieren; vielmehr handelt es sich um eine teils mehr teils weniger festgelegte vorlage.
007
sotto voce (1973/74)
for vocalists
duration: 5'-10'
premiere: stuttgart 1974
self-publishing
008
wozu noch musik ? (1974)
ästhetische theorie in quasi ästhetischer gestalt (collage)
(why still music?
aesthetical theorie in quasi aesthetical gestalt (collage))
duration: 62'55 (abridged version) 100'40 (original version)
sdr 1975
auf bis ins jahr 1966 zurückreichenden vorarbeiten basierend, wurde wozu noch musik? auf anregung von clytus gottwald hin, für die sendereihe "musik und politik"*) des süddeutschen rundfunks in zweimonatiger produktionszeit in den studios des süddeutschen rundfunks und dem experimentalstudio der heinrich-strobel-stiftung beim südwestfunk hergestellt.
das produktionsteam bestand aus brigitte keil-kübler, helga sanzenbacher, volker schlingmann, claus villinger und mir selbst.
die urfassung dauert 100 minuten, eine gekürzte fassung von 60 minuten wurde am 24. juli 1975 vom sdr, swf und sr gesendet.
eine collage aus soziologischen, psychologischen, philosophischen, literarischen, ästhetischen und musikalischen notizen und zitaten behandelt die frage, ob und wie politisch verantwortbare musik heute möglich ist. aus theoretischer dissoziation entsteht ein quasi-ästhetisches gebilde, das seine theoretischen prämissen mitliefert:
musikalischer sinn (der immanente wie der gesellschaftlich funktionale) ist durch das allgemein musikalische bewusstsein definiert, durch den "sprachraum", der ziel und ausgangspunkt des musikalisch einzelnen ist; nachdem der "verlust an objektiv vorgegebener musikalischer sprache" (adorno) zu konstatieren war, spricht die neue musik (wo sie sich nicht unter ihr eigenes bewusstsein von sich selber zurückbegibt) von ihrer sprachlosigkeit in eben jener sprache, die den sinn verweigert.
die absicht, mit den sozialen und poltischen implikationen von kunst bewusst umzugehen, signalisiert das ende der bürgerlichen musik, also auch der neuen.
*) aus dieser sendereihe wurde die arbeit wegen überlänge herausgenommen.
009
morendo (1975)
for orchestra
duration: 7'
studio production hr 1979
premiere: baden-baden/freiburg 1996
peermusic
der erste der beiden teile des orchesterstücks morendo kann als die nachzeichnung eines bestehenden zustandes aufgefasst werden. auf treue abbildlichkeit kam es mir dabei weniger an als darauf, etwas von wirklichkeit bewusst werden zu lassen und von der wirklichkeit des bewusstseins. jedoch nicht um zu belehren, sondern um einer relativ selbständigen schönheit willen, die nicht herausgelöst aus dem gesellschaftlichen bedeutungszusammenhang, sondern nur durch ihn hindurch, meinetwegen als kritik, denkbar ist.
jedem musiker ist in diesem ersten teil ein klang- oder geräuschfetzen zugeteilt, ein stückchen dinghaft-eindeutig definiertes "material", das er, eingepasst in den maschinenartigen funktionsablauf einer der sechs gruppen, in die das orchester geteilt ist, unablässig wiederholt. dieses, teils ineinandergreifend sich überlagernde, teils beziehungslos nebeneinander herlaufende mechanische sichwiederholen wird immer wieder unterbrochen und gestört von fortissimo-schlägen, die den wahrnehmungsstandort des hörers zu verschieben scheinen, indem die lautstärke- und deutlichkeits-relationen zwischen den gruppen nach jedem schlag bruchhaft verändert sind.
aber auch die mechanische ordnung des klingenden selber wird angegriffen, verändert, beschädigt, wenn auch noch nicht prinzipiell außer kraft gesetzt.
doch löst sich "ein teilchen des baues seiner vorhergehenden welt nach dem andern auf, ihr wanken wird nur durch einzelne symptome angedeutet; […] dies allmähliche zerbröckeln, das die physiognomie des ganzen nicht veränderte", wird zu beginn des zweiten teiles abgebrochen durch einen "qualitativen sprung", einen "blitz", der aber nicht "in einem male das gebilde der neuen welt hinstellt" (hegel), sondern, als negative utopie, den zerfall vorführt: die aus dem zwang zur eindeutigkeit befreiten einzelheiten haben nun mit ihrer eindimensionalen funktion auch ihren prästabilierten sinn, fesseln und halt verloren, verschwinden entweder in ihrer isoliertheit oder lassen sich "in immer freiern und innigern zusammenhang" (hölderlin) bringen.
010
vier stücke (1975)
(four pieces)
for voice, clarinet, violin, violoncello and piano
duration: 4'
premiere: stuttgart 1975
peermusic
die vorstellung, das musikalische detail sei überzeugend formuliert, wenn es im sinnzusammenhang, im "ganzen" (hegel) der form sich erfülle, ist noch als negative ein stück schlecht verstandener idealistischer philosophie: das einzelne käme als befreites nur ganz zu sich selber und in freie kommunikation mit den anderen einzelnen, wenn form lose gefügt sei oder erst aus freien beziehungen der einzelnen untereinander erwüchse; keinesfalls jedoch dürfe sie vor oder neben den details als eigener inhalt von erfindung gesetzt sein. die (politische) implikation solchen denkens: der wahn der identität des einzelnen mit sich selber.
den bruch zwischen musikalischem material "ansich" (d. h. seiner bedeutung für einen ganz bestimmten musikalischen sprachraum) und seiner innerhalb eines werkzusammenhangs definierten funktion habe ich in den "vier stücken" nachzeichnen wollen; er ist zugleich die nicht-identität von einzelheit und ganzem und die sichselbstungleichheit der details selber.
jedes der vier stücke folgt dem gleichen rigiden konzept einer gradlinigen tendenz, der alle parameter unterworfen sind (z. b. crescendo, verdichtung, dauernzunahme, etc.); verschieden sind, von stück zu stück, die kombination der parametertendenzen und, von parameter zu parameter, die tendenzstärke, die streuung um die tendenzlinie ("durch die gegensätze hindurch") die tatsächliche mittlere größe und die tatsächlichen extremen größen.
dieses konzept soll einen erkennbaren äußeren zusammenhang konstituieren, ohne in die ideologie des "werkganzen" zurückzufallen, soll die beziehungen der details zur totale und untereinander als immer auch bloß äußerliche transparent machen.
011
störung (1975)
electronic music
duration: 2'40
premiere: stuttgart 1976
self-publishing
012
128 erfüllte augenblicke
systematisch geordnet, variabel zu spielen (1976)
(128 fulfilled moments
systematically arranged, to be played variably)
for voice, clarinet and violoncello
duration: variable (max. 30')
premiere: stuttgart 1976
breitkopf & härtel
der stein der weisen eignet sich vorzüglich als wurfgeschoss.
alles formulierte/komponierte enthält einen wahrheitsanspruch, der zur verabsolutierung tendiert; er sollte dadurch zurückgenommen werden, dass auf die bedingungen der formulierung der wahrheit zurückverwiesen wird. diese "metawahrheit" entgeht aber nicht der widerlegbarkeit; sie ist kein trick, sich aus der aufhebbarkeit herauszumogeln. nur: sie lädt, weil sie versucht, nichts apodiktisch vorzutragen, zur widerlegung ein.
alles denken dient in seiner unmittelbarkeit (als standpunkt) der erhaltung seiner selbst und dessen, der es denkt.
die unmittelbare selbsterhaltung hat selbstmord-charakter.
musik, zusammen mit ihrem werden.
form "ohne eigenschaften" (musil): in der fülle der möglichen beziehungen zerfällt die kontinuität der zeit in augenblicke, der zwang der ereignisse wird suspekt.
aber nicht gemeint ist die allgemeine, bedeutungslose freiheit (die "furie des verschwindens" [hegel]), die sich (wie cage) mit abstrakter notwendigkeit in den zufall stürzt. wo die unmittelbarkeit der erfahrung gegen systemgebundenes denken ausgespielt wird, in der meinung, "von der sache selbst" zu reden, folgt die erfahrung einem ihr nicht bewussten system der selektiven wahrnehmung, aus dem sie das gefühl der unmittelbaren evidenz, der identität von sache und begriff, ihre sinnliche gewissheit bezieht.
aus dem bedürfnis, einen "freieren und innigeren zusammenhang" herzustellen, die funktion des einzelnen im ganzen nicht als resultat unmittelbar, sondern im entstehen, d. h. als auch anders möglich, das gleiche in geändertem zusammenhang mit veränderter funktion vorzuführen, wurde ein konzept struktureller und funktionaler verknüpfung erstellt, das sich nicht in der zeit entfalten lässt.
jeder der 128 augenblicke repräsentiert einen von vier punkten in einem gedachten kontinuum zwischen den extremen dreier dimensionen: er besteht aus ausschließlich gleichen, vielen gleichen und wenig verschiedenen, wenig gleichen und vielen verschiedenen oder ausschließlich verschiedenen tonhöhen; aus langen, vielen langen und wenig kurzen, wenigen langen und vielen kurzen oder ausschließlich kurzen dauern; aus ausschließlich vielen, wenigen tonhöhen oder ausschließlich geräuschen. sie sind mit diesen eigenschaften nicht statisch, sondern haben zu- oder abnehmende tendenz. aus der kombination dieser wenigen eigenschaften miteinander ergeben sich 4 x 4 x 4 x 2 = 128 augenblicke, die, da sie zwar untereinander auf mannigfaltige weise teils eng teils weniger eng strukturell verknüpft sind, aber ein ordnungsprinzip repräsentieren, das sich im musikalischen zeitverlauf nicht darstellen läßt, sich als einander ausschließen wollende voneinander isolieren und sich zugleich - in einer traurigen freiheit - füreinander öffnen. sie sind in jeder beliebigen reihenfolge und anzahl zu spielen.
"die apriorität des individuellen über das ganze" (hölderlin)
dass der hörer weiß, wo er sich befindet, ohne zu wissen, wo er sich formal und in der zeit befindet - dass alles ebensogut anders sein könnte - könnte alle notwendig entstehenden text-kontext-hierarchien als "temporär" und "gradweise herrschend" (hölderlin) durchschaubar machen.
die wahrnehmung selektiert von gleichbleibenden einzelheiten in verschiedenen zusammenhängen verschiedene eigenschaften; ähnlichkeiten zwischen einzelnen augenblicken können zur identität verschmelzen, geringfügige unterschiede gewichtig werden, identisches ist nicht identisch.
erfüllter augenblick, treffender ausdruck, sinnzusammenhang sind als vom musikalischen sprachraum abhängige (also als soziale) glücksfälle nicht konstruierbar; darauf ist zu reagieren ohne weinseligkeit, ohne die atomisierung der einzelheiten mit lust an der selbstzerstörung noch zu rufen; aber auch ohne mit auftrumpfendem "dennoch" auf traditionelle kommunikationsmuster zurückzugreifen.
wie entgeht man der rolle des "aktiven konzeptiven ideologen", welcher die "ausbildung der illusion dieser klasse über sich selbst" zu seinem "hauptnahrungszweige" (marx) macht?
vielleicht ist eine politisch nicht ganz unrelevante musik ohne esoterische ballonmützen-ästhetik möglich: musik kann etwas von der wirklichkeit bewusst machen dadurch, dass sie die chiffren bewusst macht, nach denen die wirklichkeit dechiffriert wird.
wer die musik nur politisch versteht, versteht auch von politik nichts.
013
014
alban berg: sonate für klavier op. 1
(alban berg: sonata for piano op. 1)
transcription for orchestra (1977)
manuscript
015
el sonido silencioso
trauermusik für salvador allende (1973/80)
(the silent sound
funeral music for salvador allende)
for 7 female voices
duration: 30'
premiere: stuttgart 1980
breitkopf & härtel
die kompositorische verfahrensidee dieses stückes ist am ehesten anschaulich zu machen durch die vorstellung einer bildnerischen technik: immer und immer wieder übermaltes, in das die eigentliche zeichnung eingeritzt wurde. diese zeichnung ist ebensowohl motiviert durch das, was sie an der oberfläche fragmentiert und aus tieferen schichten zutagefördert, wie sie auch dort noch, wo sie ihrer eigengesetzlichkeit folgt, in ihrer erscheinungsweise durch das überformte und entdeckte bestimmt bleibt, ohne dass dieses je zusammenhängend kenntlich würde. als sozusagen verhüllte embleme fungieren lieder der chilenischen, deutschen und internationalen arbeiterbewegung, nur "el pueblo unido jamás será vencido" wird erkennbar zitiert und verarbeitet.
die tiefste und die zeitgestalt, den verharrenden, ungerichteten charakter tragende schicht, sozusagen den malgrund, bildet eine elegie-strophe aus acht distichen (hexameter und pentameter im wechsel), über die gesamtdauer des stückes gedehnt (jede silbe ist durch fünf viertel repräsentiert), welche durch hebungen und senkungen die dichte, vor allem aber durch die fehlende senkung zwischen der dritten und vierten hebung der pentametrischen zeile, die generalpausen reguliert.
die textgrundlage bilden: eine collage aus gedichten pablo nerudas in originalsprache und deutscher übersetzung, insbesondere aus "españa en el corazón" und "canto general", des weiteren zeitungsmeldungen, dokumentationen, augenzeugenberichte, ein zusammenfassender bericht von radio santiago vom 11.9.73, dem tag an dem der demokratisch gewählte präsident chiles, salvador allende, ermordet wurde und, unter der parole "operación silencio", die noch immer regierende militärjunta unter general pinochet mit gewalt die macht an sich riss - und ein liste mit den namen derer, die in den ersten tagen nach dem putsch verfolgt, verhaftet, eingekerkert, gefoltert und ermordet wurden.
016
extension (1979/80)
for violin and piano
duration: 50'
premiere: venedig 1983
peermusic
extension (1979/80) for violin and piano was conceived as counter-model to a form of thinking which derives variations or subsidiary thoughts from a main idea; not only should all ideas (in the tradition of adorno) be equidistant from the central point, but every idea should be exposition and development simultaneously. this takes place as follows: the system of relationship establishes itself by expanding at once explosively in all directions at the same time. this suggests that everything is connected with everything else, even the most distant element. there is, however, no such thing as order for everything. the working theses was: a universal connection between the senses is only to be had at the price of its growth, like a chain reaction, and its own neutralization, as flight of sense. for this reason the piece is preceded by a motto by paul valéry: "thinking? that means losing the thread."
trans. diana loos/susan oswell
017
pablo picasso: wie man wünsche beim schwanz packt (1980)
(pablo picasso: desire caught by the tail)
(pablo picasso: le désir attrapé par la queue)
drama in 6 acts
duration: 41'
radioplay
translated from the french by paul celan
arranged for radio by ulrich raschke, mathias spahlinger, claus villinger
manfred krug – big foot
jutta wirschaz – tart
johanna liebeneiner – cousin
peter lieck – onion
hildegart dietl – silence
elisabeth schwarz – skinny anguish
käthe lindenberg – fat anguish
michael habeck – round end
walter kreye – curtain
reent reins - curtain
ulrisch raschke – bow-wow
mathias spahlinger – bow-wow
olaf freienstein – speaker
direction: claus villinger
technical realization: karl-heinz stoll, anita schumacher
producer: helmut heißenbüttel
production: sdr 1980
initial broadcasting: 31.10.1980
publisher: die arche, zürich
018
aussageverweigerung/gegendarstellung
zwei kontra-kontexte für doppelquartett (1981)
(refusal to testify/contradictory presentation
two contra-contexts for double-quartet)
for clarinet, baritone saxophone, double bass and piano/
bass clarinet, tenor saxophone, violoncello and piano
duration: 12'
premiere: boswil 1982
peermusic
language refers to the status quo as much as to that which is beyond it; we cannot transcend language, our avenues of communication, or our social context; at least not directly, not without society.
putative self-defense or pre-emptive strike might well reflect one’s own thoughts and those of the other simultaneously; but not with the intent of harmonizing one’s own stance with that of the stranger through amicable negation, but rather positively, as unmediated self-preservation.
such projections of the enemy-as-bogeyman seek to resist external interpretation, which they dread as an attack upon their own consolidated standpoint, rather than welcoming it as a chance at self-renewal. they do not tolerate the context of the actual adversary nor do they wish to act as context themselves; they rather seek, in pre-dialectical fashion, to be text and context at once, such that each is tautological; they refuse to testify and thus their interrelation with the other remains forced.
a language that has devolved into mere counter-representation loses its individual qualities and forms, those which would come to independent fruition only where true communication succeeds, beyond their willful differences; reciprocal contra-contexts, whose structure this music attempts to reflect, appear, to the outside onlooker, nearly identical.
mathias spahlinger, trans. philipp blume
019
for five jazz-soloists and orchestra
duration: 47'
premiere: mönchengladbach 1981
peermusic
vor aller rein ästhetischen wahrnehmung und beurteilung (was immer das sein soll) von musik steht ein unmittelbares, meist unbewusstes registrieren des stils als soziolekt, als signal der sozialen zugehörigkeit und identifikation, der dem hörer mehr oder weniger fremd oder vertraut ist.**); noch in den reflektiertesten und fundiertesten fachurteilen wirkt xenophobie, scheinbar harmlos als geschmacksurteil oder offen eurozentristisch bis rassistisch; kaum vermag es die ehrfurchtheischende wissenschaftlichkeit, die angst vorm sozialen abstieg, vorm identifiziert werden mit diskriminierten gruppen zu verbergen. musik ist ausdruck und interpretation der sozialen situation ihrer entstehung und als interpretation immer auch ideologie: der für die jeweilige soziale situation notwendige schein. was darum an ihr falsch oder verlogen ist, könnte überwunden oder mindestens relativiert werden durch vorurteilsfreie auseinandersetzung mit stilen fremder gesellschaftlichkeit und durch sensibles hineinhören in befremdliches (und dessen ausformulierung) auch in der eigenen kulturellen gewohnheit.
befremdlich und zunehmend peinlicher werden einem musiker, der (wie ich von mir selber sagen kann) in der tradition der "ernsten" und neuen, avantgardistischen musik aufgewachsen ist (und seit der kindheit mit jazz und außereuropäischer musik sich auseinandersetzt, ebenso wie mit der arbeiter- und revolutionären bauernliedertradition), der erfahrungen als arbeiter machen durfte oder musste, die spuren eines schuldzusammenhangs, von kolonialistischem bewusstsein, von esoterischer sklavenhaltersprache im eigenen musikalischen umfeld, bestehe das versäumnis und die mangelnde selbstkritikbereitschaft auch nur (wie bei mancher neuer musik, die sich kritisch und politisch versteht) in ihrer allzuleichten umkehrbarkeit oder neutralisierbarkeit durch die institutionen ihrer verbreitung, darin allein schon, dass sie im schwarzen abendanzug aufführbar ist und als ihren sozialen ort den bei den privilegierten signalisiert. wir europäer und nordamerikaner wehren uns dagegen, wahrzunehmen, dass wir die nutznießer einer ausbeuterischen situation sind und übertragen diese abwehr auf die ästhetischen produkte der ausgebeuteten; nicht umsonst unterscheidet das rassistische vokabular zwischen "hochkulturen" und "naturvölkern". was kunst, was kultur ist, definiert, wer die macht hat; die fremden kulturen werden mit maßstäben der eigenen gemessen und verworfen. die blindheit der spanischen conqiusta für die schönheit mexikanischer kunst- und kulturgegenstände, von denen sie nur bemerkte, dass sie aus gold gefertigt und, eingeschmolzen zum bloßen tauschwert, den eigenen wertmaßstäben entsprechen, ist symptomatisch für die euro-amerikanische kolonisatorenmentalität, die die auszubeutende kultur, die auszubeutenden menschen zu untermenschen erklärt, weil sie das christlich schlechte gewissen nicht ertrüge, ihre untaten ohne moralische legitimation zu begehen.
ästhetische urteile sind demnach politische urteile. das abwertende geschmacksurteil, stamme es auch von fachleuten, das die politischen implikationen von ästhetik nicht reflektiert, ist das pendant zur sklavenhalter-ideologie: der sklave kann kein ernstzunehmender künstler sein, er müsste sonst mit all seinen anderen menschlichen bedürfnissen ernst genommen werden; ihm wird die fähigkeit zum kunstvollen adäquaten ausdruck (von gutwilligen mitleidig) abgesprochen, während die reichtümer seiner kultur (wie die seines landes) soweit sie in verwässerter form vermarktbar sind, als exotisches kolorit die unterhaltungsindustrie seiner ausbeuter auffrischen. diesem ausverkauf bieten sich, unterm druck der machtverhältnisse, die privilegierten unter den verkauften selbst noch an und, von aufstiegsphantasien beflügelt, fast schon weiß geworden, identifizieren sie ihre eigenen interessen mit denen der fremdherrschaft.
die geschichte des jazz ist mit der des kolonialismus und (nach aufhebung der sklaverei) des schwarzen proletariats und von ständiger arbeitslosigkeit gequälten subproletariats untrennbar verbunden. die mehrzahl der schwarzen dürfte um die entstehungszeit des jazz von europäischer musik nicht viel mehr als marschmusik und kirchenlieder gekannt haben; erstaunlich genug, dass eine verschmelzung dieses nicht gerade repräsentativen europäischen anteils mit einer fülle verschiedener afrikanischer musikalischer traditionen trotz der kulturellen enteignung (die sklavenhalter hatten den schwarzen das spielen der trommeln verboten, weil sie eine nachrichtenübermittlung und aufstände befürchten mussten) zu einem neuen, der neuen situation adäquaten ausdruck gelang. der geglückten integration der verschiedensten kulturen im jazz entspricht, da er ausdruck einer desintegrierten rassischen und kulturellen minorität ist, die desintegration des authentischen jazz ins kulturleben bis heute. kaum einer der stilbildenden jazzmusiker konnte und kann einen nennenswerten finanziellen erfolg aufweisen, während die unterhaltungsindustrie mit sicherem kalkül die gesellschaftlich brisanten neuerungen des jazz aufgreift und ihnen gerade soweit den stachel nimmt, dass die betroffenen sich noch musikalisch im befreienden ausbruch wähnen können, ohne kritikfähig zu werden, und so die sagenhaftetsten profite macht. dies gilt auch für europa und die bundesrepublik. die meisten deutschen jazzmusiker leben, obwohl fachlich profis und international anerkannt, von lächerlich geringen gagen oder als halbamateure, verdienen ihren unterhalt in fremden berufen.
wie die deutsche musikwissenschaft (von wenigen rühmlichen ausnahmen abgesehen) den jazz einschätzt, deckt sich weitgehend mit der oben beschriebenen eurozentristischen haltung (ein berühmter musikwissenschaftler, dessen namen hier zu nennen ich mich für ihn schäme, sagte mir einmal gesprächsweise: "solche musik kann kein gegenstand musikwissenschaftlicher forschung sein, bloß weil sie zufällig auch musik heißt").
die angebliche primitivität des jazz (gemessen an ästhetischen kriterien der komponierten europäischen kunst-musik) beklagen die am lautesten, die an den von ihnen (mit sicherheit gegen deren willen, wenn sie sich noch wehren könnten) verehrten klassikern und romantikern die größe in der einfachheit und den souveränen umgang mit tradierten und volkstümlichen formen zu loben nicht müde werden.
tatsächlich hat der jazz, außer dem blues, der als nicht-europäische form bezeichnenderweise das rückgrat seiner geschichte und seiner sozialen bezogenheit bildet, bis zum freejazz kaum eigene formen hervorgebracht (die erfindung neuer formen ist übrigens auch in der sogenannten ersten musik, selbst in der avantgarde, ärmlich genug; offenbar ist deren entwicklung besonders empfindlich und abhängig von der verankerung im allgemeinen bewusstsein). der jazz beschränke sich darauf, so lautet der vorwurf, in ad-hoc-variationen die harmonischen muster von kommerziellen schlagermelodien zu verarbeiten. seine gebundenheit an den (sehr häufigen) 4/4 takt, der durchgehaltene beat, das festhalten an der funktionalen harmonik seien unreflektierte erbschaften der marsch- und unterhaltungsmusik; mit einem wort: der jazz sei unkritisch.
kritik an überlebten ästhetischen idealen, das manifestiert sich in der avantgardemusik schon um 1900 an der außerkraftsetzung der funktionalen harmonik; ihr könnte man vorwerfen, dass sie esoterisch geblieben ist; im allgemeinen bewusstsein haben tonalität und die aus ihr hergeleiteten formen weitergelebt, und die jüngsten entwicklungen der neuen musik und deren rekurse auf die romantik können belegen, dass die musikalische revolution nur in den komponierstuben und den vereinen für musikalische privataufführungen stattgefunden hat.
tonalität und tonalität ist nicht das gleiche; jazz-tonalität war von anfang an, schon im archaischen blues, kritischen charakters. die entgegensetzung der blues-notes gegen funktionale harmonik, die riff-praxis, die die fortschreitungen des harmonieschemas oft negiert oder modifiziert und gegen dieses mit wenigen, immer gleichen, oft genug "falschen", weil einer anderen als der dur-moll-tonleiter entstammenden tönen, insistieren und evokativ den widerspruch unversöhnlich festhält und sich nicht funktionalisieren lässt, sind signaturen eines desintegrierten musikalischen bewusstsein, das seiner sozialen desintegriertheit innegeworden ist und diese ausspricht.
kann musik schöneres leisten, als am konkreten objekt des falschen ästhetischen bewusstsein kritik üben, wie es der be-bop am swing, der free-jazz am kommerzialisierten cool und soul leistete?
die kritische haltung des authentischen jazz manifestiert sich also nicht auf dem notenpapier, sondern in seiner sozialen funktion. die frage nach der funktion von musik, ohne deren untersuchung eine diskussion über ästhetische qualität nonsens sein muss, weil musikalischer sinn sich auf einem gesellschaftlichen hintergrund entfaltet, ist den befürwortern einer autonomen musik denn auch ein dorn im auge; die musikimmanente musikkritik vernachlässigt völlig, dass der jazz von anfang an und in seiner geschichte zunehmend bewusster die produktionsbedingungen von musik, die arbeitsteilung in komponist und interpret, spätestens mit dem be-bop und erst recht mit dem free-jazz die abhängigkeit von zu begleitenden stars überwunden hat. dass eine veränderung der produktionsbedingungen (diese sind im jazz demokratisch) die sache selbst bis in ihre innere zusammensetzung und damit auch ihre ästhetische qualität revolutioniert, neue qualitätskriterien schafft und nach denen eine unter anderen bedingungen zustande gekommenen musik nicht mehr oder nur noch bedingt beurteilt werden kann, will die auf autonomie pochende musikauffassung im jazz genausowenig wahrhaben, wie im zusammenhang mit der diskussion über politisch engagierte musik. autonome kunst ist schlechte utopie; sie will die gesellschaftlichen widersprüche, in denen sie sich doch befindet, nicht darstellen und überwinden, sondern durch kunstgriffe auf die seite bringen, verdrängen.
ist albert mangelsdorff gewidmet.
020
ἀπò δῶ (apo do) (1982)
(over here) for string quartet
duration: 12'
premiere: berlin 1983
peermusic
apo do was commissioned by the goethe-institute in athens and is dedicated to the leonardo quartet.
the title is taken from the poem "the last century before mankind" by jannis ritsos, written 1942 under the impression of the german occupation; without attempting a direct depiction of the terrors of war, it is permeated by the horror that is reflected in changed everyday life, in the damaged experience of the most familiar things, and well as in the meanings that the light of the different hours of the day and the weather assume for agonized consciousness: in the fallen down hands of a clock on a cathedral; in the mud that flows with melting snow from the mountains and swims along with torn flags, army medals, and bones; in the clattering of shutters, that "applaud the desert of solitude"; in the waiter who has fallen asleep, whose head has sunk upon the serving tray, and whom is taken by those who expect nothing other than terror to be a dead man-in paratactically ordered fragments of images that seem to be taken from the destroyed context of a history; in the traces in which murder has been left behind due to the power of interpreting, supplementing work that demands that same work of fantasy to read the unspeakable, at whose representation art refuses to work. without avoiding the experience of real suffering, the "demand to let suffering become eloquent" (adorno) and fleeing to powerless beauty, ritsos escapes presumptuousness – and with it kitsch, which cultivates the confusion of the beauty, greatness, or violence of its subject with its own.
finally, how a poem sees itself in relation to politics is thematized, a poem which operates so that, in the consciousness of its esotericism, it takes itself directly into public hostility as fragmented, as reduced, as unenunciated conversation, as a sign for co-conspirators: the poet constructs in the desert of war at a street intersection a wooden panel on which to be read is: "from here to the sun."
in the hope that my work could be understood as an homage to jannis ritsos, as the expression of respect for the past and current-day battle of the greeks against economic and cultural expropriation, i have sought compositional means through which the genre of the string quartet, itself a specific central-european bourgeois tradition, could take on another esotericism, namely the character of that which remains uninterpretable or of that suggestive sign which is destined for communal experience. in this greek rhythms—which are occasionally used, only to disappear just as quickly—or a carefully hidden quote from the workers song "brothers, to the sun and to freedom" (that originated from a russian prison and then accrued a rich tradition in germany) which supplements melodically words barred from the title ("to the sun") play a less significant role than does the attempt, analogous to that in ritsos’s poem, to in some way let fragments come together at the same time that isolates them from one another and, at the same time, produces the impression that they have been taken from a context only understand to the initiated. form then lets itself be reconstructed as the architecture and dramatic course of events, as a logically told story through the rearrangement of parts and their completion. simple, ongoing repetition may turn something enciphered into something remotely familiar, and may give to something otherwise devoid of significance the appearance of being "just as it should be" ["so und nicht anders"]; thus i have disavowed the original idea of increasing the hermeticism, so that something enciphered persists while its meaning withdraws with each repetition. the "da capo senza fine" (a instruction that that is found in several editions of chopin’s last mazurka) has become a "quasi da capo senza fine": the unchanging successions of fragments were composed in two versions. a third breaks off shortly after it begins. only while at work on the composition did i first remember that i had, in so doing, quoted the form of beckett’s "play" – provided one ignores that, with beckett, the repetitions are literal ones.
the piece is preceded by three mottos. a famous one from brecht, whose opposition of lyric poetry concerned with nature and political necessity has been falsified by the global destruction of nature – perhaps one will recollect, that if music ever should perish in a sea of credit and coca-cola, then a discussion about it would become a political one.
what times do we live in, when
a conversation about trees is nearly a crime,
because it implies staying silent about so many atrocities!"
the second,
"ein blatt, baumlos,/ for bertolt brecht", is the answer from paul celan:
"what times do we live in,
where a discussion
is almost a crime,
because it incorporates so much
that’s explicitly said?"
the third,
"a silence filled by trees"
comes from the poem "the blackened pot," which jannis ritsos composed in 1948/49 in a concentration camp for political prisoners on the island limnos, where he had been sent for his participation in the civil war on the side of a "free greece." The specific context is as follows:
"then the cell gets even narrower
and one must think of the light on the wheat fields
and of the bread on the tables of the poor
and of the mothers as they smile at the window –
so one can create enough room to stretch out one’s legs.
in these hours you press your hand on that of your comrade,
there emerges a silence filled by trees,
and the shared cigarette passes from one mouth to the next
like a flashlight poring through the forest – we find the artery
which leads to the heart of spring, and we smile.
we smile into ourselves. now we conceal it, this smile.
unlawful smiling – just as the sun became unlawful
unlawful also the truth. we conceal the smile,
just as we conceal the picture of the beloved in our pocket,
just as we conceal the idea of freedom in the darkest corner of our heart
all who are here, we have one heaven and the same smile.
maybe they will kill us tomorrow, but this laughter
and this heaven they cannot take away from us."
mathias spahlinger, trans. philipp blume & nicholas betson
021
adieu m'amour
hommage à guillaume dufay (1982/83)
(farwell, my love
homage to guillaume dufay)
for violin and violoncello
duration: 12'
premiere: berlin 1983
peermusic
possess: from the desire that equates the life of the other to itself; from a tradition that will perceive its distance painfully.
on extremely detuned strings, which in and of themselves already call for an especially sensitive control of the bow, are added a great quantity of unusual playing techniques (bowing above the left-hand fingers – multiphonics achieved by bowing on the nodes of the string –
sounding of a portion of the string through slight overpressure of the bow – an extended "fawsett" technique for harmonics, which calls for a precise and even motion of the bow at specific locations on the string, etc; playing techniques, in other words, which are immensely fickle), with the intention of bringing forward into the players’ consciousness that dialectical movement, suppressed through long practice and mastery of the conventional techniques, between a sensitive awareness of the acoustical-mechanical properties of the instruments on the one hand, and the active/reactive comportment of the performer: the capacity to let the foreign-familiar live by its own rules, and let it come into an "ever freer and more intimate unity" (hölderlin) with the interpretive will. isolated tones, due to the demands of immensely performative demands and the taxing sense of focus with which they need to be realized, draw all attention upon themselves, and release themselves with a gentle autonomy from their overarching context (dufay’s adieu m’amour), just as the true duty of love lies in forgetting one’s duty to apprehend generalities; they simultaneously make reference to fragmentation, division, and separation; are meant as a repudiation of a beloved tradition which we are unable to reach, one which pulls away from all forms of possessive embrace, and resists reconstruction.
mathias spahlinger, trans. philipp blume
adieu m’amour, adieu ma joye,
adieu le solas que j’avoye,
adieu ma leale mastresse!
le dire adieu tant fort me blesse,
qu’il me semble que morir doye.
de desplaisir forment lermoye.
il n’est reconfort que je voye,
quant vous esloigne, ma princesse.
adieu m’amour…
je prie a dieu qu’il me convoye,
et doint que briefment vous revoye,
mon bien, m’amour et ma deesse!
car advis m’est, de ce que laisse,
qu’apres ma paine joye aroye.
adieu m’amour, adieu ma joye,
adieu le solas que j’avoye,
adieu ma leale mastresse!
le dire adieu tant fort me blesse,
qu’il me semble que morir doye.
farewell my love, farewell my joy,
farewell the comfort which I confess,
farewell my loyal mistress!
saying farewell wounds me so badly
that it seems to me that I must die.
with sorrow I weep greatly
there is no comfort that I can see
when I leave you, my princess.
farewell my love …
i pray to God that he will go with me,
and grant that briefly I may see you again,
my sweet, my love and my goddess!
for it’s my view of what I’m leaving
that after my pain I shall have joy.
farewell my love, farewell my joy,
farewell the comfort which I confess,
farewell my loyal mistress!
saying farewell wounds me so badly
that it seems to me that I must die.
022
signale (1983)
(choral scenes without singing)
duration: 7'30
premiere: berlin 1983
manuscript
musik, sofern sie nicht nur durch einen text, sondern durch die art und weise, wie sie gemacht ist, als politische verstanden werden will, sieht sich vor dem problem, daß stilmerkmale gebunden sind an ganz bestimmte gesellschaftliche gruppen und deren musikalische erfahrungen. nur wer mit der von vereinnahmung durch den kommerz bedrohten rock-musik vertraut ist, versteht die protest-funktion des punk; nur vor dem hintergrund eines in die unverbindlichkeit abgerutschten cool-jazz realisiert sich der enge zusammenhang zwischen free-jazz und black-power; nur wer die bürgerliche avantgarde kennt (das ist die ecke, aus der ich komme) wird in ihr die vertreter einer politischen ästhetik heraushören.
mit fremder (musikalischer) sozialisation läßt sich schwer erkennen, ob musik (für ein emotional-rational nachvollziehendes denken) gesellschaftliche erfahrung reflektiert und ausspricht oder ob sie als ideologischer zement und identitätsverstärker die flucht in die (mitunter auch militanten) idyllen antritt, in eine öffentlich veranstaltete innerlichkeit, die, als unschönes analogon zur produktionsweise, privatheit und gesellschaftlichkeit miteinander vertauscht.
mit einem kraftakt einzelner, mit dem hoffnungslosen versuch, einen allgemeinverständlichen stil zu synthetisieren, ist das verstehensproblem nicht zu lösen; mein erster gedanke war darum, es zu umgehen und zugleich im stück selber zu thematisieren durch eine ausschließliche verwendung von klängen und geräuschen, die der alltagserfahrung angehören, die von automatisierten verrichtungen zeugen, die signale von regelhaftigkeit und ordnung sind und allgemein bekannte bedeutungen haben, die reaktionen hervorrufen, die in die nähe des bedingten reflexes gehören, die uns vor ohren führen, daß herrschaft danach strebt, lebendige kommunikation, die reproduzierend zugleich verändert, neu definiert, wider-spricht, auf die einbahnstraßenform des befehls reduzieren, der nicht zu verstehen ist, sondern auszuführen.
konkrete klänge, öffentliche geräusche, musikalische zitate wollte ich so zueinander und zu theatralischen, pantomimischen und hörspiel-elementen in beziehung setzen, daß dargestelltes und darstellungsweise die aufmerksamkeit auf die wahrnehmung richten, die durch die zusammenhänge gesteuert ist, denen die herbeizitierten signale entnommen sind. ein hauptvergnügen bei der arbeit war mir, daß für die bühne nach musikalischen kriterien komponierte arbeitsabläufe den umkehrschluß nahelegen, daß in musikalischen sinnzusammenhängen die von der produktionsweise geprägten ordnungsvorstellungen sich wiederfinden, weshalb sogar eine reine instrumentalmusik möglich sein muß, die auf ihre gesellschaftlichen bedingungen verweist. - mit gutem grund kommt in der musik, die uns alltäglich überschwemmt, unsere alltagserfahrung nicht vor; dadurch übt sie ein, überm alltäglichen kram und den entlastungen von ihm die nachrichten von globalen katastrophen zu hören, ohne sie wahrzunehmen.
musik, die sich auf die verhältnisse einlassen möchte, unter denen sie entsteht, ein "unreines" künstlerisches konzept, ist wohl nicht zu realisieren durch "exklusive konzentration des künstlerischen talents", sondern nur, wo sich (wie beim hanns-eisler-chor) musikalische und politische ambition zusammenfinden zu einem schönen vorgriff auf verhältnisse, in denen "menschen unter anderem auch" musik machen.
023
música impura (1983)
(impure music)
for soprano, guitar and percussion
duration: 6'
premiere: montepulciano 1985
peermusic
música impura represents an attempt to find a response, adequate to our times, to pablo neruda’s prose poem poèsie impure, which in turn represents a polemical stance against the notion of "poèsie pure." my intention was to ask the question anew, whether it was not possible to press music into the service of concrete expression without falling back upon the insights of the bourgeois avant-garde, namely that music inhabits some existence independent of specific meaning, such that its expression remains unspecific and can be freely manipulated.
the line "pobre por culpa de los ricos" ("poor on account of the rich"), from neruda’s españa en el corazòn ("spain in the heart") is, at first, permanently repeated, but not interpreted expressively. it instead is merely instrumentalized through the formation of analogies to the phonetic sounds; by acknowledging the impossibility of representing the spoken sentence entirely through musical sounds, the inability of music to speak directly, i hope to find expression for the inadequacy and powerlessness of musical expression, as sanctioned by the european art music tradition, in the face of concrete suffering.
mathias spahlinger, trans. philipp blume
024
verfluchung (1983/85)
for 3 vocalists with wooden percussion instruments
duration: 30'
premiere: basel, 1989
breitkopf & härtel
"diese abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster grad ist der tod. allzuviele kommen uns schon heute vor wie tote, wie leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. und doch wird mich nichts davon überzeugen, daß es aussichtslos ist, der vernunft gegen ihre feinde beizustehen. laßt uns das tausendmal gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zuwenig gesagt wurde! laßt uns die warnungen erneuern, und wenn sie schon wie asche in unserem mund sind! denn der menschheit drohen kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden zweifel, wenn denen, die sie in aller öffentlichkeit vorbereiten, nicht die hände zerschlagen werden."
bertolt brecht
mit diesem stück wollte ich der aufforderung brechts folgen: das tausendmal gesagte, das zitat "verflucht sei krieg, verflucht das werk der waffen" aus "fluch des krieges" des chinesischen dichters li tai-pe (701-762) wird immer wieder gesagt, ganz oder in ausschnitten verschiedener länge.
das kompositorische verfahren, nach dem ich hierfür suchte, mußte mehrere bedingungen erfüllen: repetitive vorgänge sollten virtuell endlos wirken, also scheinbar oder tatsächlich nur aus pragmatischen aufführungsgründen anfang und ende haben; sie durften darum nicht teleologisch oder finalistisch sein (etwa wie vordersatz und nachsatz auf einen ganzschluß zielen oder gerichtete entwicklungen vom typus des übergangs darstellen). so schlossen sich auch anlehnungen an herkömmliche syntaxen aus, in denen reihenfolge (begrenzte vertauschbarkeit) von satzgliedern und verschiedenartigkeit von zäsuren sinntragend sind, also einzelheiten nicht beliebig wiederholt werden können, unvermittelte schnitte als von außen, als fragmentierung eines ganzen mit auf dieses bezogenen teilen verstanden werden. unnachgiebiges, unbeirrbares wiederholen sollte womöglich den evokativen charakter eines beschwörungsrituals annehmen, verlangte aber, um dem mißverständnis einer affinität zum gegenaufklärerischen vorzubeugen, nach einer rigorosen rationalen regelhaftigkeit; nicht aber, um eine höhere harmonie von expression und ratio auszupinseln, sondern um den widerspruch beider gegeneinander erfahrbar zu machen und festzuhalten; der vernunftlose verstand, der waffen des irrsinns hervorbringt, ist durch die schreie der leidenden widerlegt - und dennoch in der welt.
als ordnungsprinzip boten sich primzahlen an. für sie läßt sich weder ein analytischer ausdruck noch ein rekursivgesetz angeben, d. h. zwischen teilen mit größen von primzahlen wiederholt sich keine proportion jemals; anders als etwa die fibonacci-zahlen haben sie keine analogie in der natur; ihre folge ist extrem unausgewogen; gestaltwahrnehmung und intuition versagen davor, aus gegebenen primzahlen auf die nächste schließen zu sollen - für sie kommt diese immer überraschend oder ihre richtigen vermutungen sind nicht signifikant; ist die länge von teilen durch primzahlen geregelt, sind auch die kategorien verschieden/ähnlich/gleich verunsichert (deren uneindeutige zwischenbereiche von der gestaltdarstellung gemieden werden), zumal die primzahlenzwillinge (primzahlen mit der differenz 2, die vermutlich, der beweis steht noch aus, genauso unendlich sind, wie die primzahlen selbst) mit ihrem größerwerden diese kategorien durchlaufen, d. h. für die wahrnehmung immer ununterscheidbarer werden.
verfluchung besteht aus den teilen 15 bis 2 in rückläufiger anordnung und 18 bis 61. teil 1 kommt nicht vor (1 rechnet nicht zu den primzahlen), teil 2 besteht aus 2, 3 aus 3, 4 aus 5, teil 5 aus 7 achtelnoten und so fort, teil 61 (primzahl) aus 281 achtelnoten. sind die ordnungszahlen der teile primzahlen, so wird dies musikalisch besonders markiert, ebenso, wenn die summe der primzahlen bisheriger teile ebenfalls eine primzahl ist. dies ist der fall bei teil 3, 5, 7, 13 und 15 (der ersten nicht-primzahl und dem umkehrpunkt für die nun größer werdenden teile): 281 achtelnoten; und erst wieder bei teil 61, der 281 achtel lang ist (wie die teile 15 bis 2): summe aller achtelnoten ist die primzahl 7392. ein vergleichbar auffälliges zusammentreffen wiederholt sich nicht in absehbarer größenordnung (erst die ordnungszahl 97 und die gesamtsumme 22039 wären beide primzahlen gewesen, allerdings ohne etwas der in verschiedenen ordnungskategorien übereinstimmenden 281 entsprechendes). so fiel meine wahl auf diese gesamtdauer. bei tempo = 240-260 MM sind das ca. 32 minuten.
die kombination der ordnungszahlen der teile mit der zählung der achtelnoten insgesamt und in den teilen bestimmt das geschehen. eine ordnung unter dem gesichtspunkt zunehmender zusammengesetztheit wurde erstellt aus materialien, die in ihrer jeweiligen kategorie primär wirken: schlag, atem, stimme, wort, satz etc.; die ordnungszahl eines teils und deren zerlegung in primfaktoren bestimmt die vorkommenden primärmaterialien und deren zusammensetzung. das rhythmische geschehen wird durch die überlagerung der teil- und der gesamtzählung geregelt. fällt das ende eines teils mit einer primzahl der gesamtzählung zusammen, so ist nur der puls zu hören, höchstens werden die primzahlen beider zählungen, von anfang bis teil 2 auch die rückwärtszählung, akzentuiert. alle anderen teile reichen zunächst bis zur letzten primzahl der gesamtzählung, die sich in ihnen findet, die zerlegung der so gewonnen zahl in primfaktoren bringt die taktarten und das rhythmische geschehen hervor. der verbleibende rest wird mit frusta-schlägen ausgezählt. so schien sich mir der eindruck von willkürlichen ausschnitten aus eigentlich endlosem und der abrupte, unveranlaßte, unvorhersehbare wechsel zwischen allen graden der komplexität am ehesten herstellen zu lassen.
025
in dem ganzen ocean von empfindungen eine welle absondern, sie anhalten (1985)
(in the whole ocean of sensations separate off a single wave and stop it)
for three choruses and eight channel playback
duration: 20'
premiere: stuttgart 1987
self-publishing
nachrichten gehen durch die medien, von denen man glaubt, sie müssten geeignet sein, über alle mächtigen interessen hinweg, wo immer sie von menschen vernommen werden, empörung hervorzurufen und die welt zu verändern. wir wissen, was wir tun. wir sind informiert: die reichen werden reicher, die armen werden ärmer. wir verschwenden 7/8 der gebrauchswerte, die übrigen zwei drittel der menschen müssen mit dem restlichen 1/8 leben oder sterben; dabei sind sie es doch, die mehr als die hälfte aller rohstoffe erzeugen. preisdiktat durch die mächtigen, kaufkraftverlust bei den ärmsten, ungleicher tausch, größere gewinnentnahmen als investitionen durch konzerne, deren umsätze höher sind als das bruttosozialprodukt vieler entwicklungsländer. alle 2 sekunden verhungert ein mensch. es könnten 30mal soviele ernährt werden, würde nicht landwirtschaftliche nutzfläche zum anbau von viehfutter für die industrienationen verwendet.*) wir gedankenlos schuldigen oder wir, die wir den schuldigen nicht in den arm fallen, wir bewohner der ersten und besten aller möglichen welten servieren uns die folgen unseres überflusses und unserer übervorteilungsschläue im frühstücksfernsehen - und bleiben bei appetit. niemand kann sagen, er hätte nichts gewusst. nie waren täter und tatenlose wissender - und unansprechbarer.
die kunst scheint angesichts des unsäglichen einzig die wahl zu haben zwischen zynisch indolenten glasperlenspielen oder läppisch-verletzlicher selbstbespiegelung und, wo sie politische ambitionen hat, dem risiko zum monströsen kitsch: denn nicht nur das zu schöne ist dessen signatur, auch das zu hässliche, zu entsetzliche greift vor auf das, was die hilflos unter ihrem gegenstand bleibende kunst erst leisten soll und was dieser ungestaltet nicht vermag: die vermittlung von erfahrung. die wahl des einzig der bemühung werten, zu gewaltigen themas, erweist sich als hybris: selbstüberhebung des künstlers, der sich ihm gewachsen wähnt, seine mittel für adäquat hält.
allenfalls der kunstgriff scheint möglich, das kunstfremde, das der kunst heteronome, die fotografierte oder verlesene nachricht etwa (als spräche wirklichkeit für sich selber), dem artifiziellen zu konfrontieren, in der hoffnung, aus der darstellung des nicht-heranreichens, der unfähigkeit zum ausdruck erwachse ausdruck, darstellung des verhältnisses von ausdrucksfähigkeit, von (gesellschaftlich möglicher) kunst, zum (notwendigen) sujet.
im unterschied zur alltagssprache, die auch werkzeug ist und, um die handlungsfähigkeit der sprechenden zu erhalten, den fließenden vereinbarungscharakter ihrer bedeutungen ausblenden muss, spricht kunst, autoreflexiv, von sich, von ihrem stil, der art und weise ihrer darstellung. durch dieses scheinbar unernste verhältnis zu ihrem gegenstand (der sich als vom stil untrennbarer erweist) ist unversehens die art und weise des informiert werdens thematisiert, die selbst ein politikum ist. der fotograf ist nie auf dem bild. die virtuelle subjektlosigkeit der objektivistischen medien suggeriert, objektivität sei, was nach eliminierung des subjekts übrig bliebe. analog zur mechanischen produktion von gebrauchsgütern, deren nicht-individuelle exemplare kein eigendasein haben, durch keines menschen bewusstsein und gestaltungsvermögen mehr gegangen sind, schwebt der bewusstlosen abbildlichkeit das ideal einer ähnlichkeit zum verwechseln, einer gedoppelten wirklichkeit vor; solche darstellung, die keine mehr sein will, gibt das verhältnis von einzelheiten zueinander, zum ganzen des bildes und weltbildes wie zum medium der mitteilung nicht durchs subjekt hindurch wieder, sondern, als wäre dies möglich, 1 : 1, um den preis der retusche des verhältnisses zur wirklichkeit, mithin von wirklichkeit selber. solche bilder, die doch bilder von menschen von menschen für menschen sind, geraten zu "deutungslosen zeichen", werden "schmerzlos" kaum unterschieden von unterhaltungsgehalt, haben "die sprache verloren."**) mit dem siegeszug der objektivistischen, in wahrheit illusionistischen medien muss kunst die frage thematisieren, wie sich darstellung zu ihrem gegenstand, zu ihrer abbildung und zur abbildung ihres gegenstands verhalten soll, um wirklichkeit sichtbar zu machen; sie muss die aufmerksamkeit auf die veränderungen unserer aufmerksamkeit richten, die mit den technischen weltbildern einhergehen, sie muss zu bewusstsein bringen, dass die vernachlässigbare differenz zwischen dem gegenstand der wahrnehmung und dessen perfekter reproduktion der unterschied ums ganze ist, will sie nicht unter dem bleiben, was herder***) als die bedingung der möglichkeit von reflexion und sprache erkannt hat: "der mensch beweist reflexion, wenn die kraft seiner seele so frei wirkt, dass sie in dem ganzen ocean von empfindungen, der sie durch alle sinne durchrauscht, eine welle, wenn ich so sagen darf, absondern, sie anhalten, die aufmerksamkeit auf sie richten und sich bewusst sein kann, dass sie aufmerke."
*) rudolf h. strahm, überentwicklung - unterentwicklung, burckhardthaus - laetare asir datta, welthandel und welthunger, dtv
asit datta, ursachen der unterentwicklung, beck
susan george, wie die anderen sterben, rotbuch
susan george, warum die hungernden die satten ernähren
peter krieg, der mensch stirbt nicht am brot allein, zweitausend
paul harrison, hunger und armut, rororo aktuell
brigitte erler, tödliche hilfe, dreisam
opitz (hg.), die dritte welt in der krise, beck
steinweg (red.), hilfe + handel = frieden?, edition suhrkamp
bügner/kemptner, tee, lamuv
**) hölderlin, mnemosyne, kohlhammer, roter stern
***) herder, sprachphilosophische schriften, meiner
026
inter-mezzo (1986)
concertato non concertabile tra pianoforte e orchestra
duration: 30'
premiere: frankfurt 1986
peermusic
inter-mezzo concertato non concertabile tra pianoforte e orchestra (1986) uses two kinds of concertante music-making, the principle of several bodies of sound (the orchestra is divided into two equal halves almost throughout) and the division into solo and tutti, not so much in order to present the same thing in different guises as imitation but rather in order to create situations in which two people say the same thing but mean different things, or two people mean the same but say it in different ways: because the individual expression represents different worlds, belongs to different systems of perception and interpretation of reality. communications takes place by way of agreements which are incompatible, which cannot be agreed or arranged ("concertare" can also be translated as to "agree"), by means of the unrepealable difference of interpretation. the working theses of this piece was: truth is (not as a system but) only to be had between the systems, i.e. not to be had at all; between the categories, belonging to several categories at the same time, because the categories themselves become visible from their edges. that is why the title lies between tautology and contradiction: inter-mezzo = between/among and middle/half.
trans. diana loos/ susan oswell
027
passage/paysage (1989/90)
for large orchestra
duration: 50'
premiere: donaueschingen 1990
breitkopf & härtel
passage/paysage (1989/90) marks the conclusion of a three part cycle. its theme is the suspension, the disintegration of order by means of its own legitimacy. compositional procedures were to be found which not only establish context but, applied consistently, neutralize themselves, make the listener aware of the principles of order at the moment of their suspension. a dialectic was aimed for in which every "non-essential or accidental feature gains its own individual existence and segregated freedom" (hegel), therefore every detail is virtually the first of its kind, generating its own order.
extension (1979/80) for violin and piano was conceived as counter-model to a form of thinking which derives variations or subsidiary thoughts from a main idea; not only should all ideas (in the tradition of adorno) be equidistant from the central point, but every idea should be exposition and development simultaneously. this takes place as follows: the system of relationship establishes itself by expanding at once explosively in all directions at the same time. this suggests that everything is connected with everything else, even the most distant element. there is, however, no such thing as order for everything. the working theses was: a universal connection between the senses is only to be had at the price of its growth, like a chain reaction, and its own neutralization, as flight of sense. for this reason the piece is preceded by a motto by paul valéry: "thinking? that means losing the thread."
inter-mezzo. concertato non concertabile tra pianoforte e orchestra (1986) uses two kinds of concertante music-making, the principle of several bodies of sound (the orchestra is divided into two equal halves almost throughout) and the division into solo and tutti, not so much in order to present the same thing in different guises as imitation but rather in order to create situations in which two people say the same thing but mean different things, or two people mean the same but say it in different ways: because the individual expression represents different worlds, belongs to different systems of perception and interpretation of reality. communications takes place by way of agreements which are incompatible, which cannot be agreed or arranged ("concertare" can also be translated as to "agree"), by means of the unrepealable difference of interpretation. the working theses of this piece was: truth is (not as a system but) only to be had between the systems, i.e. not to be had at all; between the categories, belonging to several categories at the same time, because the categories themselves become visible from their edges. that is why the title lies between tautology and contradiction: inter-mezzo = between/among and middle/half.
passage/paysage for large orchestra (1989/90) deals with the transition, creating and suspending coherence; but not the transition from one fixed point to another fixed point, or the transition as conclusive, closed result, but rather the transition itself, the universal continual change, the infinity of the finite; for that which is formed by means of sequence or addition, not directed to an overriding principle, allows for an infinite number of further additions and is therefore itself only a part; where the state of being aimed in one direction, directed change, developing variation is made into an absolute, where from a second element a third element emerges which possibly no longer resembles the first element in any way, no overriding principle comes into being, even the relationship of the details to the form remains without compelling logical consistency, arbitrary or optional or free. the permanent way through, directed step by step, is not forced in any particular direction by the sound landscape as a whole; much is touched upon, without being a recapitulation, in narrow or wide loops, from a different direction, in a changed tempo, seen from a new perspective or from a distance, like going for a walk. the working theses for this work was: truth is only in and as transition; all attempts to express it in formulae (establishment institutionalization) is only justified as long as it is open at the front, with its own neutralization as concept - hence the initial motto-like quotation of the opening chords, which are shrouded in anecdotes, of beethoven's third symphony.
universal continual change, varied development of a musical idea in all possible directions at the same time, defies a one-dimensional representation in time; it can never be presented in its complete form and only either as a fraction presenting piece by piece, one after the other, the ways conceived simultaneously – also as polyphony of the heteronomous, or as pseudo-homophony, limited to alternating parameters standing in the foreground, thereby forming loops, attaining and leaving already familiar ground by means of all possible conceivable ways, always different, but never by means of all ways at once. for each section of a continuum in several dimensions is arbitrary, not a unity of form; at all times qualitative leaps take place by means of quantitative change, inessential characteristics turn into essential ones, the number of ways in which these can be developed is therefore infinite.
at the beginning of the piece the fractions and loops consisting of fractions are in the foreground. a limited number of short, heterogeneous sections move onwards in spiral motion, in that with every repeat one or more of the opening section can fall away, one or more can be added anew at the end. meanwhile each section is varied in itself, developing according to the most conceivably varied points of view, partly by means of the fact that the time which has passed since the last appearance of a section creates the effect of a development which has since passed by, partly by letting the next mood follow immediately on the one which has just been heard. thereby the length of the loop, the tempo of the motion changes continually, sections are exchanged and the direction of motion of the various sections and within the sections is reversed, also the direction of motion is neutralized by the reduction of the number of sections to two and its counterpart, the simple sequence of elements continually appearing anew. finally three different developing variations remain, of which two approach each other until they are almost identical and separate again, whereas the other possible pair, in contrast, develops together until it becomes the completely identical repeat of one single chord, whereas the third element, more and more shortened, disappears within it.
a great number of repeats of this chord is treated secretly as a repeat in groups of five. each of the five chords changes minimally, at first imperceptibly, i.e. in the order of magnitude of repeated soundings of an identically notated element. this reprise of the loop of fractions, however, leads to an abandonment of it, for the only parameter of one of these five chords to be changed is its length. this is multiplied by a uniformly growing factor. its last appearance but one lasts about three-and-a-half minutes, the other four chords follow once more, its last appearance is incorporated into the remaining good 30 minutes of the piece.
the transformation of the repeated chord to a horizontal extended chord affects its other characteristics, sets it in motion. the strings must change their bowing, the winds must pause for breath. instructions for this appear at shorter and shorter intervals and increasingly synchronous, leading after several attempts to the articulation of a beat.
the same applies to what was called pseudo-homophony, which also always forms hierarchical main and subsidiary ideas, but "dominating temporarily and by degrees" (hölderlin), as could be observed in the case of the first two chords: everything is projected on to a level which is in the process of changing, many characteristics are not yet or no longer that which could lead to their being integrated into a unity of form, but belong to a passing or evolving category. where it was not possible to work towards a qualitative leap by means of a gradual quantitative alteration of a characteristic standing in the foreground because this leap would have been of a kind which defied representation (e.g. inaudible pitches, unplayable volume etc.), inessential elements were gradually transformed into essential elements; the limited precision of a tutti entry, normally imperceptible, was increasingly differentiated as far as its rhythm was concerned; the proportion of noise in pitch was made clear by changes in playing technique, the proportion of pitch in noises was made clear by re-instrumentation; articulation dependent on rhythm was continually changed by means of rhythmic shifts within the bar etc. etc.; of particular significance is the changing assignment of the rhythm to beat and bar, to the impression of tempo. for overlong passages (in the present recording after the 22nd minute until after the 30th minute) all musical events are subject to a permanent accelerando, which from time to time, at various distances to the limit of performability, is, so to speak, shifted back by means of rhythmic-metrical modulation. the way out of this uninterrupted acceleration is found, inconspicuously, by means of an increase in tension: while the beat remains regular the tempo increases from beat to beat until it has doubled, whereby the music comes to a standstill.
this procedure, applied to tempo, is also to be found in another parameters, concealed at first, right in the foreground at the end, the endless continuum. its model is the risset delusion, named after the french composer and sound technician jean-claude risset; while quavers accelerate until they have become twice as fast, semiquavers are faded out, crotchets faded in, the starting point is reached again, the impression of a permanent accelerando is created. since there can be no qualitative beginning and end in continua, unlike syntactic forms, the end of "passage/paysage" should hold the balance between independent section and coda, open end and new beginning. for this the endless continuum offered itself as a slowly growing loop. a bartók-pizzicato-unison in the strings is split up into an exactly notated ritardando, the last notes of which are duplicated to a greater and greater extent up to a tutti, forming the new beginning. each repeat brings a new additional beat. the technique of playing puts the strings out of tune; these increasing deviations in intonation, which can only to a certain extent be re-adjusted, shift into deviations of pitch, playing techniques, tone-colors; from this point any kind of loop could be connected with any passage in the piece.
trans. diana loos/ susan oswell
028
furioso (1991)
for 14 players with 23 instruments
duration: 20'
premiere: witten 1992
breitkopf & härtel
first citizen: our wives and children are crying for
bread, and we’re going to feed them with the flesh of the
aristocrats. death to anyone with no hole in his coat!
all: death, death!
first citizen: what is the law?
robespierre: the will of the people.
first citizen: well, we’re the people. and our will is
that there shouldn’t be any law. ergo, our will is the law,
ergo, in the name of the law there is no law. ergo, death!
(georg buchner, danton’s death)
universal freedom can thus produce neither a positive
work nor a positive deed, and there remains for it only
the negative act. it is solely the fury of disappearing.
(hegel, the phenomenology of spirit)
the ensemble is conceived as open, as in flux, the musicians and instrumental tones as coming and going. ideally, if the procedure wouldn’t be too obtrusive and apt to distract from the music, the musicians, each at their own tempo could be drawn across the stage on podiums on wheels, so that they would appear with the first note and disappear with the last—apart from the violoncello, which must be silently present and apart from the piccolo, which can be heard in part IIa, but which should also be visible in IIb. the work is dedicated to cornelius schwehr.
mathias spahlinger, trans. philipp blume
029
nah, getrennt (1992)
for alto recorder solo
duration: 25'
premiere: köln 1993
universal edition
 
das stück heißt "nah, getrennt", weil, was in einer hinsicht nahe beieinander liegt, in einer anderen weit voneinander entfernt ist; hierbei geht es allerdings nie ganz linear zu.
im ersten teil, der in sich und auch vom zweiten sehr unterschiedlich ist, geht es hauptsächlich um die tatsache, dass auf der blockflöte mit ein und demselben griff, je nach blasdruck, ganz unterschiedliche, weit voneinander entfernte tonhöhen erzeugt werden können. im zweiten teil ist der ambitus einer kleinen terz in vierundzwanzig stufen unterteilt; hier sind komplizierte, höcht unterschiedliche griffe nötig, um sehr nahe beieinanderliegende tonhöhen zu erzeugen.
der anfang wirkt sehr frei. der konzeptuelle ausgangspunkt ist ein übergangs- oder umschlagsabschnitt zwischen erstem und zweitem teil, auf den hin sich das geschehen allmählich zentriert. hier gibt es eine skala, in ungefähren tonhöhen notiert, welche resultiert, wenn auf der blöckflöte, außer dem daumenloch, alle grifflöcher nacheinander geschlossen werden. diese skala wird des öfteren wiederholt, tritt aber nie als sie selber auf, sondern immer modifiziert, mit mehr oder weniger stufen, mit verschieden großen stufen etc.; vor allem aber handelt es sich hier insgeheim um eine endlosschleife: derjenige griff, bei dem alle löcher offen sind, erbringt nicht den höchsten ton - der umschlagspunkt, an dem ein "tieferer" griff durch überblasen einen höheren ton ergibt, von dem aus der "höchste" der skala von oben erreicht wird, bleibt ebenfalls nicht gleich.
von hier aus sind abweichungen, ableitungen in die verschiedensten richtungen komponiert, die zum anfang hin, nach dem grad ihrer entfernung vom zentrum, nicht unbedingt nach ihrer verwandtschaft untereinander, zusammengestellt wurden.
der zweite teil ist in einem durchgehenden sechzehntelpuls komponiert. die relativen tonhöhenunterschiede "hoch - mittel - tief" wurden in ihren sechs möglichen reihenfolgen immer wieder anders gruppiert und, vor allem, mit ständig wechselnden intervallen belegt, vom kleinsten ambitus, drei 16tel-töne (ein 16tel-ton plus ein achtelton oder ein achtelton plus ein sechzehnzelton - zwei kleinstmögliche stufen kommen nicht vor) bis zum größten, der kleinen terz. lautstärkeveränderungen beeinflussen die tonhöhen gelegentlich mehr als die griffe; die ultrachromatik selbst, aber ebenso sich permanent verändernder kontext verunsichern die absolute tonhöhenwahrnehmung. ich habe versucht, alle entwicklung, ausweitung und zusammenziehung des ambitus, aus solchen wahrnehmungstäuschungen herzuleiten.
030
vorschläge
konzepte zur ver(über)flüssigung der funktion des komponisten (1992)
(concepts for making (super)fluous the function of the composer)
duration: variable
premiere: berlin 1993
universal edition
vorüberlegungen
auf die vorschläge folgen die hauptnoten. besser noch, die unterscheidung zwischen haupt- und nebengedanken, rede, nachvollzug und gegenrede wäre allenthalber "temporär und gradweise" (hölderlin), mithin durchschaubar, austauschbar, aufhebbar.
diese konzepte möchten etwas beitragen zur verallgemeinerung des einstweilen einseitigen rechts, sich etwas einfallen zu lassen. bei deren ausarbeitung habe ich mich von einigen vorüberlegungen leiten lassen, die ich mitteilen will, um sie zur diskussion zu stellen und um offenzulegen, daß meine vorschläge keineswegs immer allen meinen eigenen forderungen genügen. damit ist zugleich die richtung angedeutet, in die ich mir vorstelle, daß gedanken dieser art weiterentwickelt werden könnten:
diejenigen spielregeln sind die besten (und am schwersten zu formulieren) die nach vorne offen sind, ihre reflexion erheischen oder voraussetzen, in denen ihre selbstaufhebung, ihre verflüssigung und verüberflüssigung angelegt ist. spielregeln für musik, seien sie vom komponisten als anregung vorgegeben oder aufgrund von oder ohne eine anregung gemeinsam entwickelt, sollten nicht am resultat orientiert sein, nichts haben von strikt zu befolgender verkehrsordnung, sondern in jedem augenblick ihrer ausführung zur disposition stehen. die regel soll beeinflußbar, veränderbar, ja abschaffbar sein und es kann, auch wenn ihre geltung erhalten bleibt, gegen sie verstoßen werden; es wird sich zeigen, daß ein gezielter regelverstoß mehr wahrheit ans licht bringt, als eine regel jemals haben kann. oder andere, nicht vorformulierte gesetzmäßigkeiten sollen durch proben- oder ad-hoc-entscheidungen überhaupt erst entstehen, wogegen, zum besseren des ganzen, wiederum einspruch, widerspruch möglich und erwünscht ist. was diese musik darstellt, ausdrückt, ist, bestimmen die ausführenden und zwar jeder von ihnen.
entscheidungen fordern sachverstand. sie wollen so abverlangt sein, daß sie auf jeder stufe der bildung möglich sind. praktiziert und geübt wird die künstlerische kompetenz vor der spezifisch musikalischen, die musikalische vor der instrumentalen oder der handwerklichen, die immer an ein relativ fixiertes regelwerk gebunden ist. nebenbei bemerkt soll die ästhetische entscheidungsfreiheit auch nicht durch gesellschafts-spielregeln zurückgepfiffen werden. es geht um musik. nur wo soziale prozesse nahezu unmittelbar klangliche sind, dürfen sie in den vordergrund treten.
pädagogik und didaktik haben in der regel lernziele. und es ist dem, der etwas weitergeben möchte, unendlich schwer, besserwisserei zu vermeiden. sie ist das gegenteil von ästhetischer erfahrung. ich habe versucht, nur solche konzepte aufzuschreiben, an deren realisierung ich selbst gerne mitarbeiten würde.
das alt-griechische wort schule heißt auch: muße, freie zeit, (philosophische und gelehrte) gespräche; und langsamkeit, verzug, müßiggang, saumseligkeit. hierin steckt das schwer zu ertragende privileg, von der sogenannten nützlichen arbeit freigestellt zu sein und die erfahrung, daß die lernenden, denkenden, musizierenden dem ziel am nächsten kommen, wenn sie es nicht vor augen haben.
absichtslosigkeit, wie sie die ausführung dieser konzepte braucht, ist mit passivität oder fatalismus nicht zu verwechseln; sie war schon immer eine künstlerische und denkerische tugend und sollte eine soziale sein. gegenwärtig scheinen die chancen nicht groß, daß in absehbarer zeit der wille jeder/s einzelnen, ihre/seine wünsche und träume richtig und wahr werden. ein selbstbeobachtendes, auch kritisches verhältnis zum eigenen willen, zu dem seinen und zu den seinen zu kommen, ohne sich durchzusetzen, will geübt sein. fangen wir ruhig damit an, obwohl und weil es vielleicht zu spät ist. wir werden sehen, wie hölderlin sagte, daß der freiere auch der innigere zusammenhang ist.
____________________
die vorschläge können in jeder beliebigen auswahl, reihenfolge und kombination, auch synchron, ausgeführt werden. einzelne konzepte können betsandteile von anderen sein oder andere beinhalten. insbesondere jede form der variantenbildung und weiterentwicklung ist erwünscht.
031
presentimientos
variationen für streichtrio (1992/93)
(variations for string trio)
duration: 30'
premiere: witten 1993
universal edition
"presentimientos" - um welche vorgefühle geht es hier? titel sind in mathias spahlingers komponieren stets mehr als katalogisierungshilfen oder assoziativ-emotionale etiketten. in spahlingers titeln ist der ideengehalt der komposition auf einen sprachlichen brennpunkt fokussiert - so konzentriert, dass noch die kleinste scheinbare nebensache (wie etwa der bindestrich in seinem klavierkonzert "inter-mezzo") wesentliches birgt.
analysiert man spahlingers titel, folgt man den beziehungsgeflechten, die sie eröffnen, so gelangt man unmittelbar zu den problemstellungen seines komponierens. so auch bei den "presentimientos", die den nur scheinbar lapidaren untertitel "variationen für streichtrio" führen. eine semantische schicht dieser titelgebung erhellt sich aus der widmung, ist doch spahlingers streichtrio dem musiktheoretiker heinz-klaus metzger zu seinem 66. geburtstag zugeeignet. von metzger seinerseits ist bekannt, dass er ein freund der werke francisco goyas ist, in denen er, der scharfsinnige analytiker gesellschaftlicher momente des ästhetischen, eine relevante möglichkeit politischer kunst erkannte. wenn man nun noch in betracht zieht, dass goyas berühmter zyklus "desastres de la guerra" mit dem blatt "presentimientos" ("vorgefühle") beginnt, werden die zusammenhänge klar. aber spahlinger hat den semantischen faden noch weiter gesponnen. denn "vorgefühle" ist auch das erste von arnold schönbergs fünf orchesterstücken op. 16 überschrieben, und so ist spahlingers trio zugleich eine hommage à schönberg (was wiederum umso passender ist, als heinz-klaus metzgers musikdenken entscheidendes seiner begegnung mit den schönberg-schülern max deutsch, rudolf kolisch und theodor w. adorno verdankt). doch nicht allein auf schönbergs op. 16 rekurriert spahlinger. enge bezüge gibt es in den "presentimientos" auch zu den schönbergschen orchestervariationen op. 31 und dem streichtrio op. 45 - bezüge, die im untertitel "variationen für streichtrio" chiffriert sind und ins zentrum des kompositionstechnischen zielen. denn in schönbergs op. 31 und 45 sieht spahlinger verschiedene realisierungen eines gemeinsamen prinzips: drei stimmen der partitur sind in zwei gruppen unterteilt, wobei eine stimme einen gegensatz zu den beiden übrigen artikuliert, die zwar ein paar bilden, aber in sich wiederum fein differenziert sind. es geht somit, so spahlinger, um den "höheren gegensatz zwischen zweien als paar und einem dritten". dieses in beiden schönberg-werken prominente denkmuster lässt sich in allen 33 abschnitten von spahlingers trio in heterogensten ausformungen nachweisen - wobei man statt "abschnitte" eher "fragmente" sagen sollte, ist doch das 27-minütige stück in überwiegend kurze segmente zersplittert, segmente, die sich material aus genannten schönberg-werken in unterschiedlichem transformationsgrad variierend aneignen, segmente, die isoliert komponiert und erst nachträglich zusammengefügt wurden – aber nicht zu einem "ganzen", denn einen "übergeordneten gesamteindruck", eine "entwicklung" gar wollte spahlinger eben nicht komponieren, sondern zu einer folge von momenten, die eben nicht auseinander folgen. auch in sich lassen die einzelnen segmente kaum entwicklung erkennen, sondern verkörpern verschiedene varianten von statik: sei's durch lang gehaltene klänge oder streichgeräusche, sei's durch wiederholung des immer gleichen (oder nahezu gleichen) oder durch "einfrieren" der tonhöhen auf fixierte tonvorräte. mit dieser anti-teleologischen ausrichtung folgen die "presentimientos" einem ästhetischen prinzip, das spahlinger in seinem darmstädter vortrag von 1988 so formulierte: "[...] alle bisherige musik war finalistisch und hat versucht, die zusammenhänge, die sie hergestellt hat, als möglichst zwingend darzustellen und die stellung der einzelheiten im ganzen sozusagen als diener an der form, als unverwechselbar und unaustauschbar darzustellen. dass aber alles einzelne den verschiedensten kategorien angehört und nicht nur denen, in die sie der komponist gesetzt hat, das ist aus einer musik zu lernen oder zu bewusstsein zu bringen, die nicht mehr schlüsse hat, auf die sie zielt. oder die nicht mehr der ideologie aufsitzt, dass es überhaupt schlüsse geben könne, und der klar ist, dass aus jeder lösung neue probleme hervorgehen. also keine kadenzen!"
um das prinzip der dissoziation, der autonomie und einander-fremdheit der einzelmomente noch zu verdeutlichen und nicht wiederum "formbildend" werden zu lassen, hat spahlinger in die "presentimientos" noch zwei tonband-einschübe einmontiert, die mit hölzernen knackgeräuschen und dem summen einer neonröhre "fremde welten" in die kaputte intimität des streichtrios einbringen. und auch die einzige längere zusammenhängende, geschlossene, scheinbar zielgerichtete passage des trios (ein "getrübtes unisono", das in rasend schnellen achtelketten beginnt), erweist sich letztlich als nur schein-teleologisch - und soll keinen "heilen" kern des trios bilden, sondern eigentlich nur durch ihre andersartigkeit noch deutlicher machen, wie ziellos alles jene andere um sie herum ist, das "richtungslos vor sich hindümpelt". wenn das tonband-knacken dabei keineswegs als "neutrales" klangmaterial wirkt, sondern wie das knacken in einem "gebäude, das bedrohlich ins wanken gerät", wenn spahlingers trio auch anderswo durch die extreme zerbrechlichkeit der verwendeten klänge, die ins äußerste getriebene dramaturgie langer fermaten und pausen stets gefährdet wirkt, so sind dies assoziationen, die erkennen lassen, dass spahlingers "vorgefühle" recht düstere sind und mit einer subjektiven befindlichkeit zu tun haben, die nicht losgelöst von den politischen ereignissen ihrer entstehungszeit zu sehen ist. das sind freilich aspekte, über die sich spahlinger, der kritiker plakativer polit-hymnen, höchst ungern äußern mag. stattdessen setzt er auf die subliminale wirkung des klingenden: "manchmal ahnt man dinge, die man nicht erkennt, und die wirken trotzdem".
peter niklas wilson
032
und als wir (1993)
for 54 strings
duration: 15'
premiere: donaueschingen 1993
universal edition
das phänomen der wechselseitigen abhängigkeit der räumlichen und zeitlichen eigenschaften und der lautstärke von klang ist sattsam bekannt aus der stereo-technik. ein signal, von zwei verschiedenen schallquellen unterschiedlich laut oder zeitlich leicht versetzt abgestrahlt, scheint mehr aus der richtung zu kommen, aus der es früher oder stärker zu hören ist oder es wird, bei gleichlautem und gleichzeitigem hören, in der mitte lokalisiert. aber nicht die illusion der phantomschallquelle (instrumental oder live, unter den reflexionsbedingungen in realem raum ohnehin nur sehr unvollkommen möglich), sondern die art und weise des zustandekommens solcher wahrnehmungstäuschungen ist thema und problemstellung dieses stücks, damit der soziale, interkommunikative charakter von wirklichkeit: in der patitur gleichzeitig und gleichlaut notiertes wird, je nach verteilung im raum, von immer einem anderen, einem einzigen hörer gleichzeitig und gleichlaut vernommen; zeitlich und in der lautstärke leicht verschiedenes, je nach position des hörers noch mehr getrennt oder zur gleichzeitigkeit zusammengefasst. alle kompositorischen verfahren des stückes möchten die erfahrung ermöglichen, dass, was der einzelne dafür halten möchte, nicht die ganze wirklichkeit ausmacht, will hörbar machen, daß jeder andere anderes hört.
die aufstellung der musiker ermöglicht in der einfachsten weise (die aber fast immer modifiziert wurde) die korrespondenz von vier orchestern über kreuz (abb. 1), von vier orchestern in räumlicher tiefenstaffekung (abb. 2), elliptische bewegungen zwischen gleichen orchestergruppen (abb. 3) und gemeinsame bewegungsrichtung des gesamtorchesters.
die drei teile des stückes, die ohne pause ineinander übergehen, behandeln jeweils wenige aspekte des raum-zeit-problems bevorzugt. im ersten teil war eines meiner hauptinteressen, die räumliche in konkurrenz zur zeitlichen nähe treten zu lassen; schwärme von punktuellen ereignissen können, wenn sie zwar langsamer, aber räumlich beieinander, oder wenn sie schneller, jedoch in größerer entfernung aufeinanderfolgen, zu feldern oder scheinmelodischen vorgängen zusammengefasst werden. des weiteren spielen hier ausschwingvorgänge von pizzikati, deren unterschiedliche dauern als raumbewegung wirken, eine rolle. meine besondere aufmerksamkeit galt hierbei gewissen überraschenden räumlichen veränderungen, die dadurch möglich sind, dass die dauern nicht direkt von lautstärke und tonhöhe abhängen, sondern ebenso von saitenlänge und griffweise.
im zweiten teil steht das problem der ausführbarkeit und wahrnehmbarkeit regelmäßiger pulse im vordergrund, welche beeinflusst und irritiert wird durch andere regelmäßige pulse, durch sprünge im raum, durch unterschiedlich weite intervalle, durch ein schwieriges verhältnis der pulse zum grundzeitmaß, durch leichte bis größere abweichungen in der pulsfolge selber, auch bei regelmäßiger bewegung im raum, die dadurch ihrerseits unregelmäßig scheint. bis zu 31 verschiedene tempi kommen in allen ordnungsgraden vor, von völlig im raum und den tonhöhen nach durchmischt bis sortiert: tempi nach tonhöhenregistern, nach fixierten oder langsam bewegten positionen im raum, darin prozesse der verdeutlichung und verunklarung, alle grade der räumlichen entfernung oder fixierung, oder so viele töne, wie tempi, so viele akkorde, wie tempi (mit gemeinsamen tönen, die als raumsprünge wirken) usw. usw. hier wie überall in diesem stück soll, neben allen graden der komponierbaren abweichung auch der bereich der nicht mehr notierbaren, nicht mehr ausführbaren aber hörbaren differenzierung berührt werden; wirkliche regelmäßigkeit war nur in einem und durch ein sie als gemeint beweglich interpretierendes metrum möglich.
im dritten und letzten teil steht die illusion einer gleichbleibenden bewegungsrichtung (abb. 4) alles klingenden im vordergrund. dabei sind geschwindigkeit im raum und musikalisches tempo entkoppelt. auch ereignisse, die objektiv keine raumzeitlich gerichtete abfolge haben, geraten in den sog dieses kontextes und scheinen in bewegung. dazwischen gibt es alle grade von deutlichkeit der abfolge im raum, je nach dem, wieviele eigenschaften eines klanges an anderer stelle quasi imitatorisch gleichbleiben. schließlich kommt ein klang durch beschleunigung seiner abfolge im raum zum stillstand und die bewegung geht auch an sein negativ-bild, an pausen über.
033
off (1993/2011)
for six snare drums
self-publishing
"off" für sechs kleine trommeln hat ein form-konzept nach art eines stadtplans. es wird, wenn es vollständig komponiert sein wird, etwa knapp zwei stunden aufführungsmaterial umfassen, das aber nie als ganzes gespielt werden soll. verschieden lange abschnitte von rhythmischer modulation, tempo- und zeitkomposition mit variablen anfängen und schlüssen oder auch ein- und aus- und umsteigestellen darin, werden untereinander nach bestimmten regeln kombinierbar sein. eine erste version wurde 1993 in zürich uraufgeführt. sie befasste sich vor allem auch mit dem phänomen des raumrhythmus: in der summe durchgehende achtelnoten, die erst durch die verteilung auf sechs musiker im raum wechselnde rhythmisch-metrische gestalten ausbilden.
auf anregung von christoph brunner habe ich nun (2011) das material auf ungefähr das doppelte (ca. 20') erweitert und zu einer kombinierten version verarbeitet.
takt, metrum rhythmus und tempo haben sich in der bisherigen, "tonalen" musik gegenseitig konstituiert. seit von Neuer musik mit recht gesprochen werden kannn, können diese eigenschaften, wie übrigens auch der nicht takt-metrisch gebundene 1:1-puls, getrennt voneinander auftreten. aus diesem themenkreis sind in dem material von 2011 hinzugekommen von allem drei musikalische denkmodelle: 1.) in der summe gleichbleibende rhythmische muster, die durch uminstrumentierung verändert werden oder sich zu verändern scheinen. 2.) der einfluss von artikulation (mit dem jazzbesen gewischt oder geschlagen) auf den metrischen sinn, den wir beim hören unterstellen. 3.) traditionelle, schulmäßige schlagfiguren (paradiddle in allen denkbaren kombinationen) und die, trotz perfekter gleichmäßigkeit darin wirksame "energetik" und körperartikulation.
033.01 version 1993
duration: 8'
premiere: zurich 1993
033.02 version 2011
duration: 26'
premiere: malleray-bévilard 2011
034
gegen unendlich (1995)
(to infinity)
for bass clarinet, trombone, violoncello and piano
duration: 17'
premiere: berlin 1995
peermusic
without a tonal frame of reference there is an endless number of tone pitches, of witch none is the same as any other: without a tempo there is an endless number of points in time, none synchronous.
the experience that quantification cannot be fathomed is the theme of the piece. in the first half, even tone pitches of witch the notes are identical, through the microtonal context, should be able to be heard simply as an approximation of infinity. the second wants, quasi in unison with both composed and uncomposable discrepancies, in (ametric) 1 to 1 pulse – also in respect to synchronism – to make plurality audible, must desist from system related identification.
mathias spahlinger, trans. joanna king
035
Über den frühen Tod Fräuleins Anna Augusta Marggräfin zu Baden (1995)
(On the Untimely Death of Miss Anna Augusta, Marchioness of Baden)
for 5 male voices, 5 trombones, 3 female voices, clarinet and trumpet
duration: 14'30
premiere: stuttgart 1995
peermusic
georg rudolf weckherlin (1584-1653)
Vber den frühen tod Fräwleins Anna Augusta Marggräfin zu Baden
DEin leben
dessen end vns plaget
War wie ein tag schön und nit lang
Ein stern vor des morgens aufgang
Die Röhtin wehrend weil es taget
Ein seufz auß einer edlen brust
Ein klag aus lieb nicht aus vnlust
Ein nebel den die sonn verjaget.
Ein staub der mit dem wind entstehet
Ein Daw in des Sommers anbruch
Ein luft mit lieblichem geruch
Ein schnee der frühlingszeit abgehet
Ein blum die frisch vnd welck zugleich
Ein regenbog von farben reich
Ein zweig welchen der wind vmbwehet.
Ein schaur in Sommers-zeit vergossen
Ein eiß an haissem Sonnenschein
Ein glaß also brüchig als rein
Ein wasser über nacht verflossen
Ein plitz zumahl geschwind und hell
Ein strahl schiessend herab gar schnell
Ein gelächter mit laid beschlossen.
Ein stim die lieblich dahin fähret
Ein widerhall der stim in eyl
Ein zeit vertriben mit kurtzweil
Ein traum der mit dem schlaf aufhöret
Ein flug des vogels mit begihr
Ein schat wan die Sonn sticht herfür
Ein rauch welchen der wind zustöret.
Also dein leben (schnell verflogen)
Hat sich nicht anderst dan ein Tag
Stern, morgenröht, seufz, nebel, klag,
Staub, daw, luft, schnee, blum, regenbogen,
Zweig, schaur, eiß, glaß, plitz, wasserfall,
Strahl, gelächter, stim, widerhall,
Zeit, traum, flug
Schat vnd rauch verzogen.
037
akt, eine treppe herabsteigend (1998)
(nude descending a staircase)
for bass clarinet, trombone and orchestra
duration: 32'
premiere: donaueschingen 1998
peermusic
das gemälde von marcel duchamp aus dem jahre 1912, das den gleichen titel trägt, hat ähnlichkeit mit einer mehrfach belichteten fotografie. auch die eigentlichen futuristen, allen voran giacamo balla, haben die dynamik, die geschwindigkeit von der sie fasziniert, ja berauscht waren, insbesondere wie sie im siegeszug der technisch-industriellen revolution erschien, als mechanische bewegung, in mechanistischer weise dargestellt: die kontinuität in stufen geteilt, in eine folge von momentaufnahmen. mit dem versuch, abläufe in der zeit in ihrem metier sichtbar zu machen, haben sie zugleich die raumauffassung verändert: mit den zeitschnitten sind perspektivwechsel in die simultaneität des tafelbildes gebannt.
diesen künstlerischen darstellungen der bewegung vorausgegangen waren, von einem ersten traktat um 1350 über dieses thema von nicolas oresme einmal abgesehen, ab 1860 die bemühungen von physiologen, ingenieuren, fotografen, einem betriebsingenieur, bewegung mechanisch aufzuzeichnen und wiederzugeben. die unterschiedlichsten methoden, sofern sie nicht analog und kontinuierlich sind, kreisförmig wie das rad, der phonograph, die schallplatte, haben sie alle eine eigenschaft, die hier interessiert, mit dem film und der digitalen schallaufzeichnung gemeinsam: die zerlegung der bewegung in ein raster von stehenden zeitpunkten, das, so eng es auch sein mag, doch nie die bewegung selbst ist, sondern, die sinne überlistend, diese simuliert.
die in technik und praxis unerheblich scheinende, die eigentümliche, sozusagen erkenntnistheoretische blindheit, die in dem verfahren steckt, ist vielleicht der hauptschleichweg, auf dem der technisch-wissenschaftliche objektivismus, das alltägliche gesellschaftliche sein unser bewusstsein formt.
soll die dauer, die zeitspanne einer bewegung im raum gemessen werden, so müssen zeitpunkt und raumpunkt ohne ausdehnung gedacht werden. "jetztintervall und hierintervall sind contradictiones in adjectis" (liebrucks). daher kann von einem gegenstand gesagt werden, er ist in bewegung, wenn er zu einem bestimmten zeitpunkt an einem bestimmten punkt im raum ist und nicht ist; darum nennt hegel die bewegung das "unmittelbare dasein des widerspruchs". die merkwürdigkeiten, in die sich formale logik, definierendes und identifizierendes denken angesichts der bewegung verwickelt, (spezifisch musikalisch:) tonhöhen in kontinuierlicher bewegung, glissani also, und deren darstellung in stufen ist das eigentliche thema des stückes. die skalen, in die die glissandi geteilt werden, können äquidistant sein, mit mehr oder weniger als 12 tönen pro oktav, oktavierend oder nicht, sie können teiltonreihen sein und sie können aus verschieden großen stufen bestehen, wobei über weite strecken auch hier tonhöhe und rhythmus aneinander gebunden bleiben, d. h. je größer ein intervall, desto länger die dauer bis zur nächsten stufe. immer ist mein hauptinteresse die gleichzeitigkeit (was immer das hier sein kann) der bewegten und der definierten tonhöhe. ein liegender ton, so kurz er sein mag, hat eine ausdehnung in der zeit. konfrontiert mit einem glissando, das ihn durchgleitet, ist er entweder noch nicht oder nicht mehr identisch mit der höhe des glissandos.
lebendige bewegung (als akt das objekt des interessierten wohlgefallens) ist nicht dingfest zu haben; denn widerspruchsfrei und in besitz genommen ist sie nicht mehr bewegung.
038
farben der frühe (2005)
(colors of dawn)
for seven pianos
duration: 53'
premiere: stuttgart 2005
peermusic
die idee, für eine große zahl von klavieren zu schreiben und nur tonhöhen zu verwenden, die konventionell erzeugt, also auf tasten gespielt werden, folgt dem bedürfnis, in bezug auf eine der zentralen eigenschaften der neuen musik, die farbe, sozusagen die reset-taste zu drücken, einmal nur die dezentere buntheit der schwarz/weiß/grau-tönungen zuzulassen, die aus tonhöhen-, lautstärken- und dichteverhältnissen als abhängige variable hervorgehen, nicht selbst eigenständige charaktere sind – wie etwa die identifizierbaren instrumentalfarben.
lässt sich, was wesentlich neu ist an der neuen musik, beschreiben als die prinzipielle veränderung des verhältnisses der teile zum ganzen – keine verdinglichung, gegenstandsähnlichkeit soll sein, kein geschlossenes werk - dann sind klangfarbe und geräusch, die anarchischen eigenschaften, sozusagen unmittelbar neue musik. denn die anderen, "klassischen" parameter sind eindimensional (linear veränderbar, also systematisierbar, skalierbar, beherrschbar), die klangfarben dagegen sind n-dimensional, in alle richtungen variabel, nirgendwo abschlusshaft, wie die neue musik selbst.
mir kam es darauf an, den gedanken durchzuführen, dass diese prinzipielle offenheit (die prinzipienlosigkeit) nicht notwendig an die unendliche fülle des scheinbar verschiedenen gebunden ist.
sechs stücke, deutlich unterschiedlich in dauer und charakter. auch in möglichst unterschiedlicher weise voneinander getrennt: durch komma mit fermate (zwischen 1 und 2), durch plötzlichen charakterwechsel und reduktion auf einen einzelnen ton aber attacca (2 – 3), durch eine ausgiebige pause (3 – 4), durch kaum merkliche prinzipienwechsel mit qualitativem sprung (4 – 5) und, nach 5maliger coda, durch eine nach dauer und charakter gewöhnliche satzpause: unterbrechung der musikalischen zeit.
1.) knapp 6 minuten. vierfache entflechtung, viermal der gleiche ganz einfache prozess, aber keine simulation von kausalzusammenhang: punktefelder ohne figuration (bis auf den allerersten anfang, wo es vielleicht noch reste davon gibt), nicht-gestalthaftes, das der gestaltenden wahrnehmung exponiert wird; punktefelder also, der ganze ambitus des klaviers, entwickeln sich von größerer zu geringerer dichte, vier verschiedene gesamtdauern, willkürliche an- und abschnitte (willkürlich heißt, es gibt keine qualitativen anfänge und schlüsse, jeder dichtegrad könnte noch dichter sein, jede entflechtung könnte unendlich fortgesetzt werden). vier verschiedene ausgangs- und endsituationen. bisweilen wird die zahl der eigenschaften noch mehr reduziert: gleiche dauern für alle etwa oder ein allen gemeinsames crecendo mit gelegentlichen ausnahmen.
2.) etwas über 2 minuten. atonale akkorde sind akkorde und doch nicht: sie haben keine formale implikation, sie können überallhin gehen, jeder kann anfangs- oder schlussakkord sein. ihre abfolge ist nicht syntaktisch, daher umkehrbar. sie werden auf grund der simultaneität wie gestalten aufgefasst und sind doch keine: sie sind nie vollständig, daher nie verkürzt. sie können im tonhöhenraum und in der zeit in mehrere gespalten, aus mehreren verschmolzen werden. es gibt keine definierten typen von atonalen akkorden, deshalb sind sie nicht modifizierbar; sie enthalten keine alterationen oder vorhalte. sie sind nicht auflösungsbedürftig. sie sind metrisch neutral. darum eigenen sie sich (wie hier) zum ametrischen 1:1–puls und zur rhythmisch-metrischen modulation.
3.) fast 10 minuten. eine studie über reonanzen und eine verneigung vor dem immensen und unbestechlichen handwerklichen wissen und können von generationen von klavierbauern, das in diesem wunderding konzertflügel materialisiert ist.
die ersten drei viertel des stückes beschäftigen sich ausschließlich mit dem ton des in der großen oktav. unterschiedliche lautstärken, pedalisierungen, anschlagsarten, repetitions-tempi, überlagerungen, akzentuierungen, raum-wirkungen. das letzte viertel dann setzt vielstimmige akkorde und stumm gedrückte tasten in ein verhältnis, aus dem unmöglich erkannt werden können soll, dass diese das ("harmonische") resultat von jenen sind.
4.) 6¼ minuten. das verhältnis von regel zur abweichung ist in traditioneller musik weitgehend gleichzusetzen dem von konvention zum verstoß gegen diese. in der neuen musik ist auch dieses verhältis quantifiziert.
einige töne einer tonleiter abwärts in achtelnoten, immer wieder, räumlich von links nach rechts auf die klaviere verteilt. von anfang an gibt es "fehler": falsche töne, es bleibt unklar, welche tonleiter die richtige ist. weniger oder mehr tonhöhen als klaviere, als tonorte, also verdopplungen oder sprünge im raum. dauern, die kürzer oder länger sind, also unregelmäßigkeiten, stolpern. töne, die liegen bleiben. töne werden oktaviert, je mehr, desto eher wird aus der abwärtsbewegung in schritten eine aufwärtsbewegung in sprüngen. überhaupt ausweitung des ambitus. bald sind es auch in die "richtige" richtung keine leitern mehr. alle stufen können gleichzeitig erklingen: simultandiatonische akkorde. schritte im raum ohne tonhöhenschritte. die phrasenlänge und die raumverteilung stimmen nicht mehr überein: der höchste ton ist nicht mehr beim ersten klavier, der tiefste nicht mehr beim siebenten. und so weiter und so fort.
schließlich abwärtsbewegung von akkorden von links nach rechts, die immer schneller wird, sich einem gemeinsamen arpeggio annähert, von länger werdenden pausen unterbrochen: dies ist zugleich der übergang zum nächsten stück, beschleunigung (des arpeggios) und verlangsamung zugleich, die anschlags-zeitpunkte liegen immer weiter auseinander, bis das anfangstempo erreicht ist von
5.) 16½ minuten. der erste akkord (ppppp) ist sozusagen das zusammengefallene arpeggio des schlusses von 4. als anfang von 5 ist er die einzige simultaneität des stückes für alle. denn ab sofort hat jedes klavier sein eigenes tempo, sein eigenes accelerando (dirigiert werden die sekunden), zunächst von tempo 12 bis 84 anschläge pro minute. dieses tempo wird, wegen der unterschiedlichen steilheit der accelerandi zu unterschiedlichen zeitpunkten erreicht, zwischen 6'11" und 7'41". dann beginnt ein ritardando, das für alle bis 8'47" dauert, die erreichten tempi sind zwischen 32 und 58 anschlägen pro minute. dann beginnt ein accelerando bis ungefähr 8 anschläge pro sekunde am ende des stückes bei 13'11".
die tempoveränderungen sind bis auf die 100stel sekunde genau errechnet, das ist ein wert, der sich noch in rhythmussymbolen (als triolen, 5tolen 7tolen etc.) darstellen, spielen und auch hören lässt. höhere genauigkeit auf dem papier wäre unrealisierbar und würde zu ungewollten gleichzeitgkeiten führen. simultaneität soll es aber in diesem stück, außer am allerersten anfang, nicht geben; vielmehr wird der eindruck angestrebt, dass alle 7 klaviere bis zum schluss ihr jeweils eigenes tempo durchhalten. so bot sich für das ende die folgende lösung geradezu von selbst an: alle anschläge, die auf die 100stel sekunde genau übereinstimmen, werden in den beiden (oder mehr) betreffenden klavieren als pause dargestellt. da mit zunehmendem tempo immer mehr gleichzeitige anschläge vorkommen, treten immer längere pausen auf, die immer schnellere anschläge unterbrechen, bis alle anschläge mit anderen zusammentreffen, also ausschließlich pausen resultieren.
daran schließen sich fünf code an, die, unter unterschiedlichen konkreten bedingungen und verschieden lang, die entwicklung von sehr langsam bis so schnell wie möglich bzw. äußerst dicht wiederholen.
6.) 4¼ minuten. neun abschnitte unterschiedlicher länge; die proportionen beruhen auf primzahlen, gehen also nicht ineinander auf. sehr unterschiedliche charaktere, zitate sind darunter. für die dauer eines jeden abschnittes liegt je ein anderer dauerton oder ein zweistimmiger akkord, meistens im dritten pedal. durch acht verschiedene lautstärken ist dies von sehr unterschiedlicher deutlichkeit. diese langen töne sind keineswegs harmonische grundlage. die verbindung zwischen ihnen ist sozusagen a-melodisch, es gibt nur chromatische oder tritonus-beziehungen, die oktavlagen und oktavverdoppelungen wechseln immer. alles in allem mehr ausdrückliche trennung als verbindung oder besser: die einheit von disjunktion und konjunktion.
039
verlorener weg (1999/2000)
(lost way)
for ensemble
version 1: 17'
version 2: 19'
premiere: köln 2000
peermusic
the title ‘verlorener weg’ ("lost way") was inspired by the name of a street in freiburg in breisgau, the picturesque black forest city where spahlinger held his composition professorship. the work encapsulates one of many strategies by which spahlinger strives to stay true to an aspect of ‘new music’ that is essential to its definition: the lack of intrinsic teleology. the materials of the work are conceived in such a way that any one of them can be followed by any other. the age-old question of ‘open form’ is hereby invoked anew. it is "a recurring problem, since the material of new music has no formal implications, it has no desire to go anywhere, as for example a fugue theme might." fundamentally, the work consists of a collection of 13 different sound situations, and each realization-in-score of the work traverses a different path through these, thereby highlighting their varying characteristics from new perspectives. to go from one sound type to another requires, for any given pair of types, a unique transition strategy. spahlinger decided that the best way to illustrate this state of affairs was to present two realizations, which both had to be presented in the same concert. it is certainly possible to create further versions from the basic building blocks – if not on paper, then in the listener’s imagination.
philipp blume
040
fugitive beauté (2006)
(fleeting beauty)
for oboe, alto flute and violin, bass clarinet, viola and violoncello
duration: 17'
premiere: witten 2006
peermusic
the title is from a poem "to one, who passed by" from charles baudelaire’s "the flowers of evil", a poem which is often quoted (also unconsciously), with a preference for the image "a flash.... then the night" or "suffering, the intoxicated" und "delight, that kills" or the closing lines "I would have loved you and you knew it!" – quotations, which run through cultural history like formulae for conspiracy, which evoke a quantitative leap, the birth of modernity through the spirit of expressive breaking of tabus. this piece is not autobiographical, is not dedicated to anyone and doesn’t dabble in apposite expression. it is much more a matter of raising to consciousness the lovely effects, the way they are created. large emotions, (not emotionalisms) are intensified through self observation. one can learn from baudelaire that what withdraws itself appears more beautiful and provokes longing. the piece could as easily have been called "competing correlations". but one of my concepts for improvisation is already called that (whereby simple rhythms should never be clear, to which tempo they belong, whether single beats are stressed or unstressed, whether rhythms are discrete, polymetric or meant as a sum); what’s more an entire group of works can be so titled, and even more generally, a method of composition and analysis. the sextet is split into solo (oboe) duo (alto flute and violin) and trio (bass clarinet, viola and violoncello), although the spatial separation is less significant than the temporal: the three groups of the ensemble almost always play in different, gradually changing tempi.
mathias spahlinger, trans. joanna king, john winbigler
041
lamento, protokoll (2011)
for violoncello and orchestra
duration: 52'
premiere: munic 2013
score on request
material: archive bayerischer rundfunk (bavarian broadcasting, br), munic
alles was ist, ist das was es ist, in seinem und durch seinen zusammenhang.
die zusammengesetztheit (und teilbarkeit) des individuellen (= des unteilbaren).
getrennt betrachten, was nicht zu trennen ist.
der qualitative unterschied zwischen dem individuellen und dem kollektiven. der quantitative unterschied und der qualitative sprung.
der einzelne ist nur als einzelner gesellschaftswesen und nur als gesellschaftswesen einzelner.
042
doppelt bejaht (2009)
(affirmed twice)
etudes for orchestra without conductor
duration: variable
premiere: donaueschingen 2009
self-publishing
sometimes in music there are moments—even when the music is bound up in a more traditional form—that dispense with a logical, sequential kind of hearing: in contexts of expected quality to be sure, but also ones exhilarating in their surprise, illuminating and exceeding coherence. a light goes on, exposing the most beautiful aims and deepest motivation of the author, maybe her pattern of childhood. they reveal the genesis of a concrete, inimitable historical moment, and the individual’s experience within it. the philosophy of political economy also has its own "beautiful passages". thus karl marx, in the slog of the paris notebooks on exchange on the basis of private property, develops a few (by his standards) pages toward a theory of alienated labor and its alternative which, like all utopias with any truth-content, at once points beyond both the deepest past and the wretched present.
the present work takes its title from this text of marx. artistic work can on occasion give a sense of what would not be alienated labor. but one doesn’t delude oneself. artworks too are manufactured and distributed according to the conditions of the market, and more to the point: their innermost constitution is itself dependent on the means of production, inculcated in power relations and their corresponding patterns of thinking.
the hierarchies that are required in order to champion the ideas of composers are as deceptive as they are seemingly clear to everyone: a conductor takes the podium—and in the end the audience has no choice but to approve or reject. composers cherish this illusion, and it is further perpetuated by the notion that distribution serves production, and not vice versa. but the power of thoughts among composers is on shaky ground as long as it fails to correspond to the thoughts of power and the (for good or ill) nontransparent ways in which these operate, although or because "no power is a monarchy in heaven and on earth. the absolute monarchy is its own dissolution, because it has no object; strictly speaking, such a phenomenon has never existed." (hölderlin to isaak von sinclair)
in the seemingly harmless cultural sphere which likes to emphasize the suprapolitical and thus apolitical dimension of its activity, the means of power and production are as omnipresent and as unconscious as they are in the realm of politics more narrowly defined. they leave little room for thoughts which run counter to these means or attempt to supercede them. and just as in politics, there exists a discrepancy between, on the one hand, possibilities provided by exponentially increased productivity and, on the other, the power structures that are too rigid, concrete interests that use every form of violence to maintain anachronistic modes of production. this gap is a central characteristic of our times. music’s own backward orientation, its nearly exclusive devotion to the tonal tradition and concomitant reduction of the contemporary to a "special interest" is a prototypical example. equally prototypical within this are the production mechanisms and their rigid divisions of labor. music notation flows out of these divisions, perpetuates them, and thus provides an instructive example.
music notation is brilliantly suited for illustrating how tonal music sounds (as resultant notation), and is adequate to this task. new music, though, describes its principal characteristics by starting them all with the letter ‘a’: it is atonal, ametric, amotivic, asynchronous, etc. – its primary characteristic is openness, certainly also in the realm of form. this is a feature it does not share with music notation, whose realization it either inhibits or outright prevents. all those achievements of modernity that music reflects, questions, criticizes or changes must be carried forth, despite the added resistances of notation and its methodological, performance-practice-related, reproduction-related, pragmatic, and of course aesthetic implications.
nothing is simpler for a group of autonomous musicians, each embodying composer and instrumentalist in one, to play in as many different tempos as there are musicians. under the baton of a conductor, achieving the same thing with an absurd amount of rehearsal just because it has been set in stone by the will of a single composer in a notation system for which a 4/4 measure is the norm, a 3/4 measure of rest is already a logical problem, to say nothing of the fact that three triplet-eighths add up to a quarter. since the purpose of the barline is synchronization and all traditional music, in the sense of a unified shape, knows no alternative but to assign a uniform tempo to all participants. it’s already a contrarian act to assign two independently running tempos, and non-uniform accelerations and ritardandos even more so. the "human right to think individualistically", as asserted by adorno, is denied, prevented by traditional notation. the examples could accumulate ad infinitum. that which is not bound to tonality and meter, synchronized, tied to ‘voices’ that correlate with individuals and with their uniform timbral identity, defies representation through traditional notation, at least not without a plethora of special signs, action notation, verbal explanations, and absurdly opulent lists of instructions, that constitute a notation anti-pattern. they defy not just the notation, but also the institutional, ideological, performative and hierarchical thought patterns for which it stands. speaking of performance instructions: these are occasionally more extensive than the scores themselves. three different composers might in some cases use nine different symbols for the same sounding result. yet this too should not be criticized too much, as long as notation is superseding tradition at all. for unlike the fixed tones in the tonal system timbres can only be systematized multidimensionally – if at all – for they are prioritized differently in changing circumstances, the requirements change, the pragmatism changes, and the virtue of simplicity might dictate custom solutions.
it is here that "doppelt bejaht" takes its point of departure. it is (not about participation but) about self-determination; and not directly about this, but through mediation: for the sake of comprehending compositional procedures and musical practices that are tied to pre-emancipatory thinking habits. the third trombone part in a bruckner symphony, as part of a highly diversified labor structure, reveals no clues about the whole; taken on its own, it is quite meaningless. it is no less sad to look at than a complex orchestral score from our own day. from this perspective, there is clearly no progress. a spontaneous "smash the institutions" would achieve nothing.
playing instructions for "doppelt bejaht" were devised with the aim of focusing the musician’s attention and responsibility on the whole—a whole which, since it involves new music, can only be a contradictory, open whole, changeable in itself and actually changing itself. and playing rules had to be formulated that keep open the ability of every particular to exert of measure of influence. the working methods of the musician, transformed, more open, ought measure up to the material of new music, which opens in all directions.
"doppelt bejaht" moves between the extremes of conceptualism and a play of communication. both relate to the fact that the performance instructions don’t conjure evocations of the acoustic or social (in contrast to the premise of the score as sum total of all the composer’s individual decisions), but rather should enable the concept itself. ideally these two approaches can be kept distinct in the following manner: it is characteristic of conceptualism that a single idea, invented in a few seconds and recorded in a few minutes, can generate many minutes of considerably sophisticated and complex music (an ideal example: poème symphonique for 100 metronomes by ligeti). even if it's nothing more than that several musicians on the same instrument playing the same sound one after the other. the timbral difference between the different instruments of the same category or of the musicians that play them (what nicolaus a. huber referred to as "human timbre") is intended to be heard as a differentiation, comes about on its own, and cannot be notated as such – and, incidentally, also defies analysis, insofar as analysis habitually presumes that all possible meaningful sensory experience in sound rests upon the intention and concrete decisions of a composer in the hierarchy of meaning represented by a score. pure conceptualism as a mechanical procedure is not present in "doppelt bejaht". a minimum of decision and communication on the part of the musicians is always possible and necessary.
the play of communication knows a handicap however, a game-rule, perhaps a repertoire of sound-material, or running, the remains hollow as such if he only from. page is played. what is asked of her musicians, is a culture, not the obligation fulfillment, but of deviant behavior. so what is expected of the musicians that they contribute, are not accidents, but the essential features. the living difference, the other sichtweise, individual and unmistakable expression, etc., which accounts for a possible or concerted running a vibrant development and movement in contradictions. just as important as the 24 numbers is the method of their being linked with one another through "branching" [verzweigung]. often the numbers are already processes in themselves, and are expected to generate contradictory decisions and readings; in the branchings with which they end, the musicians must choose between three possible paths, must find a way, through music-making, to choose one of three possible numbers.
these 24 suggestions carry the subtitle "etudes". this is not meant figuratively. to put it another way, freedom requires practice. great precursors, with whom one doesn’t want to be compared, are chopin’s etudes for piano, and particularly bach’s klavierübungen.
i would never have ventured to undertake the project "doppelt bejaht" had i not also felt a deep reverence for the swr-symphony orchestra, whose decades-long experience with new music is still able to leave me speechless. i hope that "doppelt bejaht" is a possible space (for musicians, listeners, and especially myself) to learn, practice, and understand what new music is or still could become. by no means do i see it in an exclusionary way, as the only right path. the problems of new music are many and manifold, and must be worked out in most differentiated ways. certainly the standardized ways are by no means to be expunged wholesale.
mathias spahlinger, trans. philipp blume and seth brodsky
043
konzepte und varianten
(concepts and variants)
self publishing
konzeptuelle musik kann in ihrer reinsten und extremsten form aus einer einzigen idee bestehen, erfunden in einer sekunde, niedergeschrieben in einer minute und aufgeführt in einer unendlichen dauer. "to be held for a long time" von la monte young und "poème symphonique für 100 metronome" von ligeti kommen diesem extrem nahe. der haken bei der sache ist nur: die idee muss von der art sein, dass sie einen beziehungsreichtum des erklingenden ermöglicht oder garantiert, sei es durch die entscheidungen der musiker oder automatisch und mechanisch (wie bei den 100 metronomen) der, unter beibehaltung der grundidee, durch eine ausgeschriebene partitur nicht übertroffen werden könnte. ist dies nicht der fall, muss das konzept in der ausführung näher bestimmt und in der dauer begrenzt werden.
alle konzeptuellen ideen sind miteinander verwandt - durch die idee des konzeptualismus. da sie offene formen hervorbringen, können alle, durch allmähliche veränderung, ineinander überführt werden.
043.01 ausgang (2010)
(exit)
for ensemble
duration: variable
premiere: berlin 2010
"ausgang" für ensemble beginnt mit einem endlos-kontinuum, einer schleife, die, in zwei phasen, aufwärts und abwärts, stufenlos immer wieder in ihren eigenen beginn mündet, um dann, nach ausführlichen einlassungen auf andere konzepte, einen ausgang zu finden.
043.02 rundweg (2010)
(round way)
for recorder, violin and violoncello
duration: variable
premiere: berlin 2010
from the series concepts and variants: in its purest and most extreme form, conceptual music can emerge from a single idea, come up with in a second, written down in a minute, and performed for an unending duration. “to be held for a long time” from la monte young and “poème symphonique for 100 metronomes” by ligeti come extremely close to doing this. but here’s the trick: the idea has to be of the sort that enables or guarantees – through the decisions of a musician, or automatically and mechanically (as in the 100 metronomes)—a wealth of sounding relations which, while retaining the basic idea through an written-out score, cannot be surpassed. if this is not the case, the concept must be more precisely determined in its execution and more delimited in its duration. all conceptual ideas are related to each other – through the idea of conceptualism. since they produce open forms, they can all be converted, through gradual transformation, into one another. “rundweg” for recorder, violin and cello run through, among other thing, the stations of klangfarbenmelodie (“sound-color-melody”), micro-intervals, upstairs/downstairs, and ends only seemingly with a reprise, namely one by the whole piece reveals itself overall as a loop, a circuitous path [rundweg].
mathias spahlinger, trans. seth brodsky
043.03 einräumung (2002)
3 simultan solos for violin, viola and violoncello
duration: at least 1'41
premiere: bremen 2003
043.04 pnw (2003)
for 8 violoncellos and 5 double basses
dauer: 0'31
044
entfernte ergänzung (2012)
for four (also three or two) guitars
duration: 17'
premiere: stuttgart 2013
self-publishing
man stelle sich einen prozess vor, der in so langsamen veränderungen vonstatten geht, dass über minuten alles erklingende ähnlich scheint. z. b. ein sehr langsames glissando mit einem gleitstahl oder trommelstock, der, als schräger barré-griff, über alle sechs seiten der gitarre geschoben wird. figuration, die auf einer solchen schiefen ebene der tonalen grundlage ausgeführt wird, ist nie ganz gleich, aber auch nie in höherem maße verschieden. erst wenn diese kontinuität unterbrochen und nach mehr oder weniger großen herausgeschnittenen entwicklungen fortgesetzt wird, scheint es etwas wesentlich verschiedenes zu geben. in diesem stück wird allerdings, was entfernt wurde, was den eindruck des kontrastes erzeugte, um den hörer über dieses verfahren nicht im unklaren zu lassen, an späterer stelle teilweise ergänzt.
die genannten prozesse verlaufen in jeder der beteiligten gitarren relativ eigenständig ab, weshalb es im ganzen stück keine zwingend vorgeschriebene synchronität gibt, keinen wirklich gleichzeitigen akkord. darum auch ist eine ausführung mit nur drei oder zwei spielern möglich, die dann zum teil material aus den nicht besetzten stimmen übernehmen können.
045
ausnahmslos ausnahmen (2013)
for drumset
duration: approx. 24'
premiere: chicago 2015
self-publishing
i began with the following considerations: new music is not a style, but rather a method of critical self-reflection, thus applicable to all styles and simultaneously a prerequisite for (or side effect of) interculturality, perhaps even for/ of multilingualism. i grew up in the frankfurt opera house (also with renaissance and medieval music) and in the jazzkeller. anyhow, this piece is (like extension, among others) a repudiation of stylistic "purity" (style being a societal phenomenon, often one of identification or even identity, and thus also one of hostility – and therefore to be regarded skeptically, especially in the guise of "personal style".) the drum set is the most successful "instrument" since the start of the 20th century. even bavarian folk music can’t make do without it anymore. "ausnahmslos ausnahmen" exclusively avails itself of drumming patterns (and their near or distant derivatives) that every drummer has practiced backward and forward, but these never appear in such a way that the 4/4 measure and its concomitant formal implications are affirmed. every traditional music is a system of selective perception and interpretation. in this piece I have tried to work in such a way that, for all the rules which serve to define convention, only the exceptions to those rules are presented.
mathias spahlinger, trans. philipp blume
046
asamisimasa-zyklus
for ensemble asamisimasa:
clarinet, drums, guitar, piano, violoncello
self-publishing
the asamisimasa cycle is a collection of eleven pieces that can be played separately or in different combinations, or indeed in a fixed order as an evening-length program. every conceivable size of instrumentation appears, from solo to sextet, in the most varied instrumental combinations. in two pieces an ensemble member stands in the foreground with soloistic tasks.
the durations of the pieces range from 3 to 15 minutes.
046.01 difference négligeable (2018)
for guitar and violoncello
duration: 4'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
die tonumfänge der instrumente dieses duos sind sehr ähnlich; fast alle tonhöhen, die auf dem einen instrument möglich sind, sind es auf dem anderen auch. unterschiede der klangerzeugungsarten, der farben, der dynamischen verläufe und anderer eigenschaften, die außerhalb des traditionellen tonhöhen-satzes liegen, treten umso deutlicher hervor, bis aus jeder vernachlässigbaren abweichung ein unterschied ums ganze werden kann – die neue musik hat die fragwürdigkeit der prinzipiellen unterschiede zwischen gleich, ähnlich und verschieden bewusst gemacht.
046.02 faux faux faux bourdon (2016)
for bass clarinet solo with accompaniment (percussion, guitar, piano, violoncello)
duration: 12'
premiere: darmstadt 2016-08-12, asamisimasa
order in one respect creates disorder in every other.
probably one of the oldest, and certainly the simplest conceivable form of polyphony, is the drone, the accompaniment of a melody by the sustained tonic of the scale, often with the fifth and the octave added; the melody notes, depending on their positions in the scale, fluctuate between consonance and dissonance in relation to the drone. An approach that may strike us as tautological and superfluous, as the accompaniment simply shows the frame of reference of which the musician or listener must be aware anyway if they are to understand the melody notes in relation to the system of perception. under the conditions in which this musical practice came into being, then, things cannot have been as clear as they became in modern Europe after the reduction of available scales to major-minor tonality.
in a certain sense, fauxbourdon, the false (bass) drone, constitutes a reversal of this situation. here too, one organizing principle is rigorously followed while another – contrapuntal thinking, the independence of the different voices – is neglected for short or sometimes extended sections. the melody notes are underlaid with unchanging chords, usually comprising a fourth and a third. such crudities have kept their cheeky freshness (with abandonment and return to counterpoint, and later function harmony) over the centuries, extending beyond beethoven to gershwin.
these parallel first inversion chords are tonal, they provide major and minor thirds, perfect and false fourths, and affirm the scale.
faux fauxbourdon could mean an approach where, as with parallel chords, the chords are transposed literally, without consideration for pitches outside the scale; or which, going further, uses atonal chords in parallel.
in faux fauxbourdon the bass clarinet is (almost always) the soloist. it plays false melodies – false because they are not tonal and (though clearly rhythmic) are not tied to any meter. the other instruments over- or underlay the bass clarinet with non-tonal parallel chords. the principles on which these chords are based are constantly violated or replaced by others.
paul valéry was right: “deux dangers ne cessent de menace le monde; l’order et le désordre” (there are two dangers that do not cease to threaten the world; order and disorder).
mathias spahlinger (trans. wieland hoban)
046.03 flashback (mit rückschaufehlern) (2017)
trio for quarter-tone instruments:
two vibraphones, quarter-tones tuned against each other),
electric guitar (quarter-tone) and
piano plus keyboard (quarter-tones tuned against each other)
duration: 7'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
ein ohrwurm ist noch kein traumatisches symptom. aber manche stellen bei beethoven (der hier zitiert wird), nicht anders als von hegel oder hölderlin (alle drei waren 1789 19-jährig) erinnern dringlich an das anfänglich umstürzlerische potential des bürgertums. besonders, wo die widersprüche kulminieren und so festgehalten werden, dass sie erzittern: "explosante fixe". einer traditionspflege zum trotz, die abschleift, durch gebrauch zivilisiert und durch verharmlosende erinnerung zum kulturgut, zum besitz herabwürdigt.
046.04 un-umkehr (2019)
for clarinet, drums, guitar, piano and violoncello
duration: 3'
ua: berlin 2023-03-22, asamisimasa
unsere vorstellungen von umkehrung in der musik sind durch die schriftlichkeit bestimmt. unter A-B-A-form versteht man selbstverständlich die abfolge von teilen als einheiten, die aber, intern, in gleicher richtung gespielt werden; andernfalls müsste, ab der mitte von B, der rest des stückes rückwärts gelesen werden.
bei der (über jahrhunderte) kleinsten größenordnung, den tonhöhen, erwartet niemand, dass in original, krebs, umkehrung (von oben und unten der intervalle) und umkehrungskrebs mit der reihenfolge der tonhöhen auch deren ein- und ausschwingvorgänge gemeint sein könnten. ein rückwärts ablaufendes tonband macht klar, dass dieser "physikalisch getreuesten" umkehr in der zeit nicht die größte ähnlichkeit mit dem original und die höchste wiedererkennbarkeit zukommt.
so ist bis heute die entscheidung für umkehrungen in der musik in jeder hinsicht an deren ausdehnung in der zeit gebunden und die vermischung von größenordnungen bringt das erfreulichste und fruchtbarste durcheinander hervor.
046.05 doppelt und dreifach determiniert (2017)
for drum solo (5 tomtoms)
duration: 12'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
für unsere taditionellen vorstellungen von musikalischem zusammenhang ist wohl die zeitordnung die bestimmendste gewesen: die abfolge der klangereignisse, das vorher und nachher (von melos bis form und dramaturgie) und das zugleich, also das zeitmaß für takt, metrum und rhythmus, das für musiker und hörer verbindliche tempo, das synchronität von aufführung wie wahrnehmung für musiker und hörer reguliert.
mit der "geschichtlichen tat" der erfindung von atonalität sind alle voraussetzungen des systems musik in frage gestellt; gleich, ähnlich und verschieden ebenso, wie vorher/nachher beziehungsweise synchron.
drei anschläge definieren ein tempo. nicht nur, wenn sie als puls, in gleichen abständen oder dauern aufeinanderfolgen. auch anschläge mit einfachem rhythmus oder dauern z. b. im verhältnis 3:1:2 (der punktierte rhythmus) definieren zugleich takt, metrum, rhythmus.
wird ein solcher rhythmus (z. b. in drei stimmen) gleichzeitig in drei unterschiedlichen tempi oft wiederholt, und laufen diese drei tempi nicht lediglich nebeneinander her, sondern sind so aufeinander bezogen, dass immer wieder bis zu drei anschläge aus den unterschiedlichen tempoebenen zusammentreffen müssen, eben auch solche, die in ihrem jeweiligen tempo die dauern 1, 2 oder 3 besitzen, sodass sie aber nicht bloß quantitativ verschieden sondern wesentlich verschieden sind, denn sie sind im rhythmus 3+1+2 in ihrer stellung im metrum bestimmt, so kann man (mit hegel) sagen: "die denkende vernunft spitzt den abgestumpften unterschied des verschiedenen, die bloße mannigfaltigkeit der vorstellung, zum wesentlichen unterschiede, zum gegensatze zu."
046.06 double (2018)
for clarinet, drums, guitar, piano and violoncello
duration: 15'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
die bezeichnung double kam mir als kind kurios vor: die praxis, die ich aus der französischen klaviermusik des 17./18. jahrhunderts kannte, einen tanzsatz im 4/4-takt notengetreu am ende zu wiederholen, aber im 3/4-takt.
hier dagegen sind alle rhythmisch/metrischen verhältnisse (von doppelt und dreifach determiniert) völlig identisch. nur das tempo ist reduziert, um in der instrumentation größere freiheiten zu erlangen.
046.07 nachtstück mit sonne (2014)
(nocturne with sun)
for ten-string guitar solo with accompaniment (clarinet, percussion, piano, violoncello)
duration: 17'
premiere: oslo 2015-09-14, asamisimasa
in beckett’s plays we can recognize our experience of how, in modernity, tragedy and comedy are at times so close to each other as to be indistinguishable, and that the one can turn into the other. things are not quite so serious here. but there is a parallel in new music: when tonal models became questionable, so did the expressive topoi. with the title i wanted to prevent the impression that the relative compositional simplicity at the start of the piece signaled something like a character piece, dispensing with any contrasting or entirely unexpected elements.
my concern was to let the principle of separation between solo and accompaniment emerge only gradually from the possibilities of the 10-string guitar to take a path of its own, one which the “accompanying” instruments could not simply follow: unfolding the incredible multiplicity and sonic quality of harmonics possible on this instrument.
mathias spahlinger (trans. wieland hoban)
046.08 still/moving (2015)
for clarinet and violoncello
duration: 8'
premiere: oslo 2015-09-14, asamisimasa
what is the right shelf for a book on social psychology? the sociology shelf, or rather psychology? buridan’s ass famously starved to death between two haystacks, unable to decide on which side it should start feeding. perhaps the solution lies in the middle, in the sense that after one begins reading, it transpires that the book in question reflects on the thematizing categorial boundaries, determinately negates and sublates them.
competing assignments can be found everywhere in new music. atonality, the initial fall, is probably no more or less than a clever arrangement of notes which makes it impossible for the perception to assign them to a particular key.
it is easy to demonstrate an analogous phenomenon in the rhythmic-metric domain. two musicians alternate in playing a regular pulse with a constant dynamic level, duration and articulation; the slightest change in these properties influences the possible or impossible metric assignment. instead of deciding to follow the one or the other, a third type results: ametricism. it is not based on irregularity in time (stockhausen’s “noise rhythm”), but rather the determinate negation of certain metric conditions.
in traditional music, the progress of musical time was tied to the harmonic syntax, along with meter, arsis and thesis, as well as the distinction between harmonic and non-harmonic pitches. this can give the impression that in music which determinately negates meter in the manner hinted at, musical time moves undecided across the categorial divide – not forwards, however, but rather between stasis and movement.
mathias spahlinger (trans. wieland hoban)
046.09 don’t kill me, i am beautiful (2019)
for bass clarinet, small drum, piano and violoncello
duration: 4'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
046.10 nahe null (2019)
for clarinet, drums, guitar, piano and violoncello
duration: 12'
premiere: ultima oslo contemporary music festival 2022-09-23, asamisimasa
in traditioneller musik ist konventionell geregelt, was als gleich, ähnlich oder verschieden gilt; auch in stilen, in denen bei wiederholungen üppigere verzierungen üblich waren, wurde die grenze zur variation nie überschritten.
wenn konzepte von neuer musik auf permanenter wiederholung und minimaler veränderung (nahe null) basieren, kann diese mit jener verwechselt werden.
gelegentlich verstehen wir musik ganz anders, wenn wir nachträglich erfahren, von wem sie stammt – also: wer wohl was intendiert hat.
der "treffende ausdruck" und die personalstile sind schon lange eine fragwürdige kategorie.
046.11 k141 (2018)
for piano solo
duration: 5'
premiere: berlin 2023-03-22, asamisimasa
unsere vorstellung von virtuosität hat sich mit der romantik, dem klavierbau und den größeren konzertsälen radikal verändert. wer glaubt, dass die "große klaviertechnik" allein, an chopin und liszt geschult, immerhin ausreicht, scarlatti zu spielen, möge es versuchen.
046.z kuboå (2015)
for voice, clarinet, percussion, guitar, piano and violoncello
duration: 4'
in hunger von knut hamsun wird das problem thematisiert*), dass eine privatsprache, die nur ihr erfinder selbst versteht, ein widerspruch in sich wäre, dass aber umgekehrt, sprache, die nur bei dem verbleibt, was sich von selbst versteht, zur selbstreflexion nicht taugt, dass nur ein sprechen, das um worte ringt, bisher ungesagtes, undenkbares zur sprache bringen kann.
die sechs musiker spielen asynchron, handeln jeder in sechs abschnitten unterschiedlicher längen modelle von "sprachfindung" ab. wiederholungen, varianten, kombinatorik, permutation, sozusagen um dem material sinnverschiebung oder bedeutungswandel abzugewinnen, um einzukreisen, was die musik bedeuten könnte.
*) plötzlich knipse ich mehrere male mit den fingern und lache. zum teufel auch! - ha! ich bildete mir ein, ein neues wort gefunden zu haben. ich richtete mich im bett auf und sagte: das gibt es in der sprache noch nicht, ich habe es erfunden, kuboå.
ich selbst hatte das wort erfunden und war deshalb in meinem guten recht, es bedeuten zu lassen, was ich nur wollte.
knut hamsun, hunger, suhrkamp verlag 1965, s. 76f.